Nils Greve / Thomas Keller (Hrsg.) - Systemische Praxis in der Psychiatrie

hinzugefügt: 23-09-2003
1. Auflage 2002, 336 Seiten, kartoniert. Preis: 27,90 EUR
ISBN 3-89670-273-4

Praktiker schreiben in diesem Buch über (ihre) systemische Praxis mit psychisch ge- und verstörten Patienten/Klienten. Das der Einfluß an systemischen Ansätzen im ambulanten/stationären Versorgungssystem stark angewachsen ist, dürfte dem Leser bekannt sein. Das aber die allgemeine "systemische Moderne" sich mit teilweise verkrusteten Strukturen und Begriffen auseinander setzen muß, spiegelt den therapeutischen Zeitgeist unserer heutigen Gesellschaft wieder.

Gemeinsam mit international renommierten Kollegen (z.B. Boscolo, Cecchin, de Shazer, Seikkula o. Stierlin) sammelten die Herausgeber in diesem Band Aufsätze mit/aus verschiedenen Perspektiven. Der Wunsch der Therapeuten, kranke Patienten zu heilen, wird über Bord geworfen und danach gefragt, wie ein System (auch Menschen stellen dieses dar) mittels eigener Ressourcen (personale u. soziale Kompetenz) zurückfindet in einen Zustand des Gleichgewichts.

Anhand zahlreicher Beispiele, gut nachvollziehbar und teilweise recht spannend beschrieben, geben die Autoren einen tiefen Einblick in die therapeutischen Sitzungen mit Einzelpatienten, Paaren oder Familien vor dem Hintergrund systemischer Prinzipien und Handlungsstrategien. Die Bandbreite und der Einsatz dieser Arbeitsform reichen von individueller Problem-Lösung bis hinzu institutionellen Kontexten der Sozialpsychiatrie oder der Wahrnehmung von Chronifizierungsprozessen bei Langzeit-Patienten in Einrichtungen. Weitere Schwerpunkte bilden die sprachlichen Prozesse (Deissler), der "Offene Dialog" (Seikkula) oder Betrachtungen zum Krankheitsbegriff in der Psychiatrie.

Das Buch ist keineswegs ausschließlich für Kliniker geschrieben worden, haben doch weitere Berufsgruppen im Prozeß des Lösens/Heilens wesentlichen Anteil am möglichen Erfolg einer systemischen Arbeitsweise. Sozialarbeiter und Pflegekräfte dürften sich angesprochen fühlen, wenn sie neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen sind, ab und zu nach Sinn und Un-Sinn im psychiatrischen Alltagshandeln fragen und vorzugsweise die Verantwortung für Entscheidungen bei Klienten und Angehörigen sehen können. Peter Kruckenberg faßt den Grundgedanken dazu am besten zusammen: "Systemisches Denken ist z.T. entstanden als Gegenbewegung auf eine unlebendige, an Mängeln, nicht an den Möglichkeiten orientierte Psychiatrie." (S.37). Sollte das Buch den Leser daher zum Nachdenken anregen, befindet sich dieser womöglich auf dem "Weg der Besserung".

Erschienen im Carl-Auer-Systeme Verlag.

Rezension von Michael Horn