Frieder Claus
 

"GEBLENDET VON DER GROSSEN KOHLE ?"
 

Zu den Modellversuchen einer Pauschalierung der Sozialhilfe
 
 

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Am 25.6.1999 wurde auf eine Bundesratsinitiative Baden-Württembergs hin ein neuer Paragraph 101 a in das Bundessozialhilfegesetz eingefügt, der Modellversuche zur Pauschalierung von Sozialhilfeleistungen ermöglicht. Anlaß war ein Modellversuch im württembergischen Ravensburg von 7/96 bis 12/98 mit anfänglich ca. 350 Haushalten auf Freiwilligkeitsbasis. Diese erhielten eine monatliche Gesamtpauschale aus Regelsatz und einem Aufschlag von 28% (HV), mit dem einmalige Leistungen nach § 21 BSHG (außer Umzugskosten, Erstausstattungen für Bekleidung, Hausrat und Säuglinge sowie Schwangerschaftskleidung) und weiterhin die verbrauchsabhängigen Nebenkosten (Wasser, Müll, Heizung) abgegolten waren. Die Mieten waren in dem Modellprojekt nicht enthalten. Im Oktober 99 wurde eine - von der Konferenz der obersten Landessozialbehörden (KOLS) nie beschlossene - „Musterrechtsverordnung der Länder” unter Federführung des Sozialministeriums Baden-Württemberg veröffentlicht. Dort wird die Pauschalierung von Leistungen sowohl im Bereich der HLU als auch der HbL ausgeführt. Die Versuche sollen in der Regel zwei Jahre dauern, eine Auswertung muß bis 1. Januar 2004 vorgelegt werden. In der Zwischenzeit gibt es in mehreren Bundesländern Entwürfe oder bereits beschlossene Landesverordnungen zur Durchführung solcher Modellvorhaben. Die Planungen von versuchswilligen Trägern der Sozialhilfe zielen bislang im Wesentlichen auf die HLU mit einem Gesamtpaket von Regelsatz, Mieten mit Heizkosten und zumindest den regelmäßig auftretenden einmaligen Leistungen nach § 21 BSHG.
Laut Bundestagsducksache 14/820 soll es „nicht darum gehen, die Leistungen zu senken, sondern darum, wie man die Leistungen so ausgestalten könne, daß sie mehr Autonomie für die Sozialhilfeempfänger brächten.” Erhofft wird insbesondere ein erhöhter Dispositionsspielraum der Hilfeempfänger, damit die Stärkung der Selbstständigleit und Selbsverantwortung sowie der Selbsthilfekräfte; durch die Vereinfachung der Gewährung sollen personelle Ressourcen für eine verbesserte Beratung freigestellt werden.

Die angestrebten Ziele des Modellvorhabens sind löblich. Viele Hilfeempfänger beklagen die Armutsfalle der Sozialhilfe insbesondere wegen des bevormundenden Charakters, dem fehlenden Anreiz für Eigeninitiative und Verantwortlichkeit und einer totalen Kontrolle der Mittelverwendung. Ob diese Probleme mit einer Pauschalierung von Leistungen nach § 101 a BSHG lösbar sind, muß wegen der Sensibilität der damit verbundenen Existenzgrundlagen sorgfältig durchdacht und abgewogen werden. Ein solcher Versuch ist unter Sozialexperten durchaus umstritten.
Zu Form und Inhalt der derzeitigen Planung bestehen allerdings größte Bedenken hinsichtlich einer fehlenden Einbeziehung der Praxis und einer unzureichenden Beachtung der grundlegenden sozialhilferechtlichen Prinzipien von Bedarfsdeckung und Individualisierungsgebot. Sozialhilfe muß als letztes Netz der sozialen Sicherung die Existenz in jedem Einzelfall absichern, darunter kommt der freie Fall.
Dies sei in den nachfolgenden Ausführungen beispielhaft erläutert:

1.) Bei einem der größten Umgestaltungsprozesse der Sozialhilfe in der Nachkriegszeit sind die Praktiker an der Basis bislang nicht in die weitreichenden Überlegungen einbezogen. Der Gesetzgeber hat darauf hingewiesen, daß es „von besonderer Bedeutung sei, daß während der Phase des Experimentierens die Wohlfahrtsverbände begleitend einbezogen würden” (1). Die bislang in den verschiedenen Verordnungen festgelegten Grundsätze und Ausgangspunkte einer Pauschalierung wurden aber ohne Beteiligung der Wohlfahrtspflege entwickelt. Dies ist um so bedeutsamer, da Verordnungen nicht mehr dem parlamentarischen Zustimmungsverfahren unterliegen. Die kommunalen Spitzenverbände entwickeln bereits Berechnungen und Betragstabellen, ohne daß örtlich die „sozial erfahrenen Personen” nach § 114 BSHG auch nur über Grundzüge der Planung informiert wären. Sozialarbeiter vor Ort sind weitgehend uninformiert über eine neue Form der Sozialhilfe, selbst wenn diese in ihrem Bereich in wenigen Monaten durchgeführt werden soll. Die Neugestaltung einer letzten sozialen Sicherung menschlicher Existenz ist ein so sensibler Bereich, daß sie in ihren bedeutsamen Auswirkungen genau durchdacht und insbesondere mit Praktikern verschiedener Zielgruppen diskutiert werden muß. Kleine Planungsstäbe in den Sozialverwaltungen können die sich ergebenden Einzelprobleme in der Fülle der verschiedensten Einzelfälle und Tücken der Details nicht in dem Maße berücksichtigen, wie sie von einem solch weitreichenden Reformvorhaben tangiert werden. In der freien Wirtschaft wird ein so umfassender Planungsprozess in der Regel breiter angelegt.
2.) Die vorliegenden Landesverordnungen überlassen die wichtige Ausgestaltung der Pauschalierung hinsichtlich Personenkreis, Pauschalierungsbereich und Höhe weitgehend den örtlichen Trägern der Sozialhilfe. Damit werden die Bestimmungen des § 101a BSHG unzulässig überschritten, wonach „das Nähere über ... die Bemessung der Pauschalbeträge ... über die Voraussetzungen für die Teilnahme von Hilfeberechtigten ... in der Rechtsverordnung” festgelegt werden soll. Wie soll bei diesem vorhersehbaren Wildwuchs örtlicher Pauschalierungsformen die wichtige „vergleichbare Auswertung der Modelle” (1) gewährleistet werden, ganz zu schweigen von der notwendigen Rechtssicherheit ? Laut Rechtsgutachten von Prof. Dr. Zuck, Stgt., liegt hier ein verfassungswidriger Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 20 GG vor, sofern damit die wesentliche Ausgestaltung sensibelster Bereiche den Verwaltungen einer Vielzahl von Stadt- und Landkreisen überlassen wird. Die Menschenwürde sei aber nicht nur unantastbar, sondern auch unteilbar (2).

3.) In den Landesverordnungen ist das Wahlrecht der Betroffenen weitgehend nicht mehr gegeben. Noch im Entwurf zu dem neuen § 101 a BSHG war ausdrücklich festgelegt, daß Pauschalbeträge nur im Einvernehmen mit dem Hilfeberechtigten gewährt werden dürfen. Ein solches Wahlrecht ist auf dem Hintergrund von § 3, Abs. 1 u. 2 BSHG zu sehen. Dort ist geregelt, daß sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe ... vor allem nach der Person des Hilfeempfängers ... richten. Seinen Wünschen auf die Gestaltung der Hilfe soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind ...
Die Musterrechtsverordnung der Länderminister sieht ein solches Wahlrecht zumindest noch bei der Pauschalierung der Unterkunftskosten vor, weil man sich dort der besonderen Sensibilität bzgl. der Sicherung der Unterkunft bewußt ist.
Auch aus Sicht der Praxis ist ein Wahlrecht dringend geboten. Das System der pauschalen Gewährung setzt eine hohe Haushalts- und Anspardisziplin voraus, die in der Mittelknappheit der Sozialhilfe nicht bei allen Hilfeempfängern gegeben ist. In der Dürftigkeit des Regelsatzes bei ständig neuen, unvorhergesehenen Engpässen fällt ein Ansparen ungleich schwerer als bei den Monatsbudgets der Planer. So gaben nur 40% der befragten Ravensburger Versuchsteilnehmer an, daß sie von der Pauschale etwas ansparen können. Insbesondere im Bereich der Suchtkranken fehlt diese Disziplin in hohem Maße, ohne daß dem Sozialamt diese Personen verlässlich bekannt sind. Eine zwangsweise Teilnahme am Modellversuch führt zu vermeidbaren neuen sozialen Probleme der damit überforderten Hilfeempfängern und degradiert diese zu unfreiwilligen Versuchsobjekten für ein durchaus umstrittenes und völlig offenes Modellprojekt.
Die Grenzen des Modells werden schon hier deutlich. Gerade solche Personengruppen werden auch bei einem Wahlrecht in hohem Maße den höheren Pauschalierungsbetrag wählen. In der Presse werden bereits vierstellige Beträge genannt, die jeden Junkie, aber auch einen Großteil der Personen mit Problemen im Geldeinteilen blenden werden. Somit wird es lediglich einen „Austausch der Opfer” geben: wo jetzt die Selbstständigen am System leiden, werden dann die Schwachen kranken.

4.) Soweit die Regelsatz-Verordnung in § 3, Abs. 1 u. 2 bestimmt, daß laufende Leistungen für die Unterkunft und die Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt werden, hat sie damit Beträge in Höhe dieser Aufwendungen festgesetzt und enthält daher ein Pauschalierungsverbot. § 101a BSHG ermächtigt lediglich zur Pauschalierung von Leistungen, für die nicht schon Beträge durch das BSHG festgelegt sind(3). Hierzu sei auf die Stellungnahme des fundierten Sozialrechtsexperten Prof. Friedrich Putz zum Entwurf einer Musterrechtsverordnung der Länder zu § 101 a BSHG verwiesen (4). Prof. Dr. Zuck führt in seinem Rechtsgutachten überzeugend aus, daß die Bundes-Rechtsverordnung zu § 22 BSHG über den Landes-Rechtsverordnungen zu § 101a BSHG steht. Bundesrecht bricht Landesrecht, nicht umgekehrt ... (2).

5.) Bedarfsdeckungs- und Individualisierungsprinzip des BSHG lassen eine Pauschalierung der Unterkunfts- und Heizungskosten auch praktisch nicht zu. Ist die reine Kaltmiete noch durch die örtliche Vergleichsmiete hinlänglich zu definieren, sind schon die Nebenkosten in verschiedenen Objekten so unterschiedlich und vom Hilfeempfänger weitgehend nicht zu steuern, daß die Bildung von "durchschnittlichen Nebenkosten" für den Markt einfach nicht möglich erscheint. Beispielhaft sei hier nur auf Objekte mit Aufzug, Hausmeisterdienst, großen Grünflächen mit entsprechenden Pflegekosten, umfassenden Versicherungen, Gesamtverkabelung ohne Wahlrecht oder höchst unterschiedliche Grundsteuersätzen und Müllgebühren in den Gemeinden usw. usf. verwiesen. Durchschnittliche Nebenkosten, die diese zahlreichen Einzelfälle nicht berücksichtigen, lassen sich durch den seit Jahren gedeckelten Regelsatz nicht ausgleichen und führen zu Mietrückständen bis hin zum Wohnungsverlust.
Sozialhilfe muß als letztes System der sozialen Sicherung insbesondere die Wohnung als existentielle Säule des Lebens sichern. Die angemessene, aber in jedem Einzelfall unterschiedliche Miete ist der Preis dafür. Die Entgeltung mit einem statistisch durchschnittlichen und damit politisch umsetzbaren Betrag wird aber keinem Einzelfall gerecht. Wenn 1000 Haushalte eine Mietbelastung von 600 DM und andere 1000 Haushalte eine solche von 800 DM haben, bringt das rechnerische Durchschnittsentgelt von 700 DM den einen Gewinne von 100 DM, den anderen Abmängel von 100 DM und damit Kündigungsgefahr ... des einen Tod, des andern Brot. Eine Pauschale, die allen Einzelfällen in den Grenzen einer Angemessenheit gerecht würde und damit an der obersten zulässigen Grenze liegen müsste, würde aber den Kostenrahmen der Sozialhilfeträger sprengen. Daß daran nicht gedacht ist, zeigen die Beträge, die derzeit im Landkreis-u.Städtetag Baden-Württemberg diskutiert werden (5). Nach einer Untersuchung der Wohnungswirtschaft im Landkreis Esslingen führt diese Orientierung an den Tabellenwerten des neuen Wohngeldgesetzes zu Unterdeckungen der Marktmieten, die bei vierköpfigen Familien bis zu 44% betragen (6). Selbst in den ältesten Baujahrsklassen erzielen die Tabellenwerte keine Deckung mit den Marktmieten. Der Fehlbedarf steigt mit zunehmender Haushaltsgröße, bei größeren Familien ist die Wohnung am wenigsten gesichert.
Der Ansatz einer fiktiven Mietpauschale für die große Bandbreite unterschiedlicher Nebenkosten und Miethöhen führt in der Praxis entweder zu untragbaren Kostenbelastungen oder aber zu Pauschalmieten, die marktfremd sind und zahlreiche Haushalte mit Wohnungsverlust bedrohen. Letzteres wird in nicht unerheblichem Maße den Rechtsfrieden von Wohnungsgebern bedrohen, die bislang bereit waren, Vertragsverhältnisse mit Sozialhilfeabhängigen einzugehen und zu einer Meidung von Sozialhilfe-Mietern führen. Der damit ausgelöste Druck auf Billigquartiere wird die Bildung neuer sozialer Brennpunkte begünstigen. Bis zur Hälfte der Hilfeempfänger sind Minderjährige, die vor Verwahrlosung, Kriminalität, Drogenabhängigkeit u.v.a.m. besonders zu schützen sind.
Rechtlich bedenklich erscheint zudem ein Zwang für viele, den bisherigen Lebensmittelpunkt aufgeben zu müssen wegen einem (durchaus umstrittenen) Modellversuch von nur 2 Jahren oder in einer bekanntermaßen großen Zahl von nur kurzfristigen Notlagen. Dagegen stehen kostenmäßig hohe Aufwendungen für Umzugskosten, Renovierungen u.s.w. und im Bereich einer Fürsorgepflicht eine große Zahl von Kindern, die ihrer sozialen Bezüge (Freunde, Schule...) beraubt werden.
Mietpauschalen mit einem wie auch immer gearteten Zwischenwert in der Bandbreite zulässiger Mieten werden die (vielerorts jetzt schon unzureichende) Angemessenheitsgrenze der Miethöhe weiter absenken. Flüchten die Hilfeempfänger dann in Billigbestände, wird diese Pauschale noch weiter absinken und langfristig einen Substandard für Wohnungen in der Sozialhilfe festschreiben.
Die Pauschalierung der Wohnungsmieten ist ein gefährlicher Weg, der im Widerspruch zu den Vorschriften des BSHG steht, kaum einem Einzelfall gerecht wird und Existenzgrundlagen entzieht. "Des einen Tod, des anderen Brot" darf kein Prinzip des untersten sozialen Netzes sein.  Rechtsgemäß, wirtschaftlich und einzelfallgerecht ist die Gewährung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei einer angemessenen Obergrenze, die sich an den örtlichen Verhältnissen des Wohnungsmarktes zu orientieren hat. Diese Verhältnisse werden in weiten Gebieten verlässlich durch Mietspiegelwerte wiedergegeben.

6.) Eine Pauschalierung der Heizkosten dürfte, neben der dargelegten rechtlichen Unzulässigkeit, schon am Fehlen geeigneter statistischer Daten scheitern.
Soweit hier auf Heizkostenpauschalen von Landes-Dienstwohnungen (bei 10%-igem Abschlag(5)) zurückgegriffen wird, sind die Personengruppen der Landesbediensteten und der Sozialhilfeempfänger nicht vergleichbar. Während erstere tagsüber weitgehend bei der Arbeit außer Haus sind, sitzen letztere - weil nirgends gebraucht - zuhause. Weiterhin dürften Wohnungen von Sozialhilfeempfängern, schon baujahrsbedingt, im Durchschnitt schlechter isoliert und damit mit höheren Wärmeverlusten befrachtet sein. Es erscheint paradox, wenn durch zu niedrige Mietpauschalen Hilfeempfänger einerseits in Billigbestände niedrigen Standards gedrängt werden, andererseits bei den Heizkosten noch Abschläge von Werten besser isolierter Wohnungen Landesbediensteter vorgenommen werden.
Das Land hält sich als Vermieter an die festgesetzten Pauschalen und stellt auch bei einem härteren Winter mit höheren Heizkosten keine Nachforderungen. Dies aber ist in den privaten Mietverhältnissen von Sozialhilfeempfängern in der Regel nicht gegeben. Nachzahlungen für höhere Heizkosten können bei der Pauschalierung jedoch nicht mehr beim Sozialamt beantragt werden.
Andere statistische Daten zu Heizkosten mit hinlänglicher Aussagekraft und Vergleichbarkeit sind hier nicht bekannt. Bei einer Wohnungsanmietung wird den Vermieter bei der Festlegung von Heizkostenvorauszahlungen auch keine Pauschalansätze des Sozialamtes interessieren.

7.) Keine Ausführungen werden an dieser Stelle zur letztlich verbleibenden Möglichkeit der Pauschalierung von einmaligen Leistungen gemacht. Allerdings ist umstritten, ob diese Pauschalierung tatsächlich die erhofften Einsparungen in der Verwaltung bringt. Die monatliche Pauschale beinhaltet nur kleine Abschlagsquoten für diese Bedarfe. Wenn eine Waschmaschine z.B. eine Lebensdauer von 10 Jahren hat, erhält der HE jeden Monat hierfür ein Hundertzwanzigstel der Anschaffungskosten (z.B. 3,33 DM). Wer bereits nach ein paar Monaten einen unaufschiebbaren Bedarf hat, wird einen Einzelantrag stellen, weil er bislang nur einen Bruchteil der Kosten erspart hat. Einen Einzelantrag werden auch diejenigen stellen, die rein rechnerisch im Laufe der Zeit einen Großteil oder alles für eine Anschaffung erhalten haben, dies aber für eine andere Notlage verwendet werden musste. Solange das Bundesverwaltungsgericht an seiner ständigen Rechtssprechung festhält, daß nur tatsächlich "bereite" Mittel eine Hilfegewährung ausschließen, werden solche Einzelanträge erfolgreich sein. Da der Modellversuch nur 2-3 Jahre durchgeführt wird, wird kein längerlebiges Bedarfsgut mit den monatlichen Abschlagsquoten abgegolten sein.
Damit kann also nicht ausgeschlossen werden, daß die Pauschalierung mit einer Flut von zusätzlichen Einzelanträgen entgegen den Erwartungen einen Mehraufwand an Verwaltung und Zusatzausgaben auslöst.

8.) Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Beratung durch wegfallenden Verwaltungsaufwand ist eine reine Absichtserklärung ohne Verbindlichkeit. Für die örtlichen Kreise und Städte besteht kein Hindernis, Personalstellen nach gewisser Zeit zu streichen, die für die Antragsbearbeitung nicht mehr gebraucht werden. Völlig ungeklärt ist auch die Abgrenzung zur Beratungsleistung der freien Träger. Welche Leistung ist zukünftig überflüssig, wenn beide Seiten in gleicher Weise umfangreiche Hilfeplanverfahren anbieten ?

9.) Völlig undurchdacht ist die Regelung des § 101a BSHG zu einer Erhöhung der Vermögensfreigrenzen nach § 88 BSHG. Hier sollte ein Ansparen aus den Pauschalen zu notwendigen Anschaffungen ermöglicht werden. § 88 BSHG definiert aber gerade das Schonvermögen, das nicht eingesetzt werden braucht. Insoweit werden sich Hilfeempfänger freuen ...
 
10.) Als kleiner Schlußexkurs sei noch auf verschiedentliche Überlegung verwiesen, Wohnungslose nach § 72 BSHG vom Modellversuch auszunehmen. Neben dem Problem der erneuten Stigmatisierung einer ganzen Personengruppe besteht Gefahr für die Finanzierung ambulanter Betreuungsbereiche der Wohnungslosenhilfe. Die Bewohner werden schnell feststellen, daß sie wegen Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen nur den Regelsatz und damit scheinbar weniger als die vierstelligen Pauschalen erhalten. Es liegt nahe, daß eine große Zahl von Personen im ambulant betreuten Wohnen - "geblendet von der großen Kohle" - die Betreuung als Zuordnungsmerkmal für § 72 BSHG schnell aufkündigen wird.

Insgesamt ist in Frage zu stellen, ob das unterste soziale Netz, so es jeden Einzelfall vor Not und Armut zu schützen hat, eine Pauschalierung verträgt. Not ist nicht pauschalierbar!
Der Modellversuch, so er denn überhaupt erprobenswert ist, muß aber in jedem Fall die wichtigen Prinzipien der Bedarfsdeckung und Individualisierung sicherstellen, ein Wahlrecht einräumen und das Pauschalierungsverbot hinsichtlich der Unterkunfts- und Heizkosten beachten.
 
 

Quellennachweis:
(1) Bundestagsdrucksache 14 / 820
(2) Prof. Dr. Rüdiger Zuck, Stgt. „Rechtsgutachten zum Modellversuch einer Pauschalierung der Sozialhilfe in Ba-Wü” mit Zusatzgutachten (3/00), erstattet für die Liga der freien Wohlfahrtspflege Ba-Wü, Stuttgart
(3) BAG Sozialhilfeinitiativen, Ffm " Stellungnahme zum Entwurf einer Musterrechtsverordnung der Länder" 23.11.99
(4) Prof. a.D. Friedrich Putz in „info also” 1/99 und als Experte in (2)
(5) Landkreis- und Städtetag Baden-Württemberg „Eckpunkte zur Pauschalierung” 21.10.99
(6) Unveröffentlichte Untersuchung der Wohnungswirtschaft im Landkrs. Esslingen - beim Autor erhältlich