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„Justizministerin Anke Spoorendonk irrt!“
hinzugefügt am 24-02-2017
BdB stellt Zahlen richtig, mit denen die schleswig-holsteinische Justizministerin gegen eine Erhöhung der Vergütung argumentiert

„Die schleswig-holsteinische Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) nutzt falsche Zahlen, um eine Erhöhung der Betreuervergütung zu verhindern“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen e.V. Thorsten Becker. Damit gefährde die Ministerin den sozialen Frieden im Land. „Denn ohne eine Verbesserung der Rahmenbedingungen ist das System Betreuung als Ganzes in Gefahr – mit verheerenden Folgen“, so Becker. Hintergrund ist eine geplante Gesetzesänderung. Für diese hatte das Bundeskabinett vergangene Woche eine 15-prozentige Erhöhung der Vergütung für Berufsbetreuer und Vormünder vorgeschlagen. Die schleswig-holsteinische Ministerin sprach sich dagegen aus – auf der Grundlage von falschen Zahlen und Fakten.

„Wir haben Verständnis dafür, dass die Länder Mehrkosten vermeiden wollen“, so Becker. Die Kosten für Berufsbetreuer und Betreuungsvereine tragen die Landesjustizkassen. „Aber genau diese Kosten werden ihnen auf die Füße fallen. Wenn das Netz aus Berufsbetreuer/innen wegfällt, muss der Staat einspringen – und das kann nicht nur teuer werden“, warnt der BdB-Vorsitzende. Aus Sicht des Berufsverbandes besteht die Gefahr, dass viele Berufsbetreuer und Betreuungsvereine aufgeben müssen, wenn auch nach fünfzehn Jahren die Vergütung nicht erhöht wird. Auch der Bundesjustizminister Heiko Maas hält diese Erhöhung für „essenziell“. Grundlage für die Gesetzesinitiative ist eine jüngst veröffentlichte Studie des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) zur „Qualität in der rechtlichen Betreuung“, welche zum gleichen Ergebnis kommt: Laut der Studie arbeiten Berufsbetreuer/innen im Durchschnitt 4,1 Stunden pro Klient und Monat, bekommen jedoch nur 3,3 Stunden vergütet.

Voraussichtlich am 12. Mai wird der Gesetzentwurf im Bundesrat beraten. Anlässlich der Gesetzesinitiative hatte Ministerin Spoorendonk in einer Pressemitteilung behauptet, die Vergütung für Berufsbetreuer/innen habe sich seit 2005 um 50 Prozent pro Fall erhöht. Spoorendonk führte dabei Einführung der Pauschale 2005 sowie den „Wegfall der Umsatzsteuerpflicht“ ins Feld. „Die Zahlen sind schlicht falsch, die Argumente vorgeschoben“, sagt Thorsten Becker. „Seit 2005 wurden weder Stundensätze noch Stundenkontingente angepasst. Gestiegen sind nur die Zahl unserer Aufgaben sowie der bürokratische Aufwand, den wir betreiben müssen. So kann auch eine Erhöhung der Vergütung um 15 Prozent nur kurzfristig Erleichterung bringen. Langfristig brauchen wir eine grundlegende strukturelle Reform des Betreuungswesens. Die Gespräche mit zahlreichen Bundes- und Landespolitikern zeigen uns, dass dieser Ansatz richtig ist.“
Der BdB-Vorsitzende warnt: „Sollte die Gesetzesänderung scheitern, werden die Leidtragenden die Menschen sein, die heute dank eines professionellen Betreuers an der Seite, ihr Leben selbstbestimmt gestalten können.“ Aufgrund des demografischen Wandels nimmt die Zahl der Menschen, die auf Betreuung in Deutschland angewiesen sind, stetig zu. Deutschland sei kein armes Land. Was es sich nicht leisten könne: dass hunderttausende Menschen, die ihr Leben nicht mehr selbst regeln können, ihren Platz in der Gesellschaft verlieren.

Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen diene letztlich den betroffenen Menschen, so Becker weiter: „Qualität, Zeitkontingente und Stundensätze hängen zusammen. Insofern begrüßen wir, dass Ministerin Spoorendonk die Qualitätsdebatte führen will.“

Hintergrundinformationen
Umsatzsteuer

Es ist keine „Umsatzsteuerbefreiung“ erfolgt. Der Bundesfinanzhof hat vielmehr festgestellt, dass Berufsbetreuer/innen auf der Grundlage des Europarechts (schon immer) umsatzsteuerbefreit hätten sein müssen. Der Gesetzgeber hat diese gerichtliche Feststellung umgesetzt. Der Wegfall der Umsatzsteuer führte also lediglich zu einer Beseitigung von Unrecht. Auch bleiben durch den Wegfall des Vorsteuerabzuges und dem höheren zu versteuernden Einkommen am Ende nicht 19 Prozent Minderausgaben, sondern – je nach Steuersatz und Höhe der Vorsteuern – etwa 10 Prozent.

Pauschalvergütung

Durch die Einführung der Pauschalvergütung ist keine Erhöhung der Vergütung pro Betreuung erfolgt. Die Steigerung der Ausgaben für Betreuungen im Zeitraum von 2005 bis 2006 dürfte im Wesentlichen auf Besonderheiten in der Abrechnungspraxis zurückzuführen sein. Das wurde überzeugend im ersten Zwischenbericht zur Evaluation des 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes dargelegt (S. 153 f) und ergibt sich aus der Auswertung der Ausgabenentwicklung über einen längeren Zeitraum (von 2004 bis 2007). Es ist gerade kein dauerhafter unerwarteter Anstieg der Kosten pro Betreuung erfolgt.

Es ist richtig, dass der Stundensatz, wenn man ihn isoliert betrachtet, mit Einführung der Pauschalvergütung angehoben wurde. Bei dieser Anhebung handelte es sich aber lediglich um einen Ausgleich für die „gedeckelte“ abrechenbare Zeit pro Fall und Monat sowie für den ebenfalls nur noch pauschal abrechenbaren und knapp bemessenen Aufwendungsersatz. Im Endergebnis entspricht die Pauschalvergütung der Höhe der auch zuvor gezahlten Vergütung (Bundestagsdrucksache 15/2494, S. 33).

Gewinne

Die in dem ersten Zwischenbericht zur BMJV-Studie angeführte Steigerung des Gewinns von Berufsbetreuern hat ihre Ursache vor allem darin, dass mehr Fälle übernommen wurden; eine Steigerung des Gewinns pro geführter Betreuung lässt sich dem nicht entnehmen. Im Übrigen sagt das von Frau Spoorendonk angeführte Argument letztlich nichts aus. Selbst dann, wenn es die von ihr behaupteten Erhöhungen der Betreuervergütung gegeben hätte, würde das nichts daran ändern, dass das Einkommen eines Berufsbetreuers weit hinter dem Einkommen eines angestellten Sozialpädagogen im öffentlichen Dienst zurückbleibt.

„Der aktuelle Tarifkompromiss im öffentlichen Dienst wird von Schleswig Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) positiv bewertet. Der Haushalt 2017 in Schleswig-Holstein sei so aufgestellt, dass der Tarifabschluss zeitgleich für die Beamten übernommen werden könne. Die ausgehandelten Tariferhöhungen und die Übertragung auf den Beamtenbereich werden sich nach Heinolds Angaben im Haushalt 2017 mit zusätzlich etwa 74,28 Millionen Euro auswirken. Im Haushalt 2018 kämen weitere Mehrausgaben von rund 86,96 Millionen Euro auf das Land zu.“ (Quelle: Deutsche Presse-Agentur dpa 18.02.2017). Im Vergleich dazu: Die Ausgaben aus dem Justizhaushalt 2016 für die Berufsbetreuungsvergütung betrugen knapp 31 Mio Euro. Eine Erhöhung um 15 Prozent würden eine Mehrausgabe von rund 4,5 Mio Euro bedeuten.

Die Selbstzahler werden belastet

Es ist richtig, dass manche Menschen für ihre Betreuung selbst aufkommen müssen. Diese erhalten von ihrem Betreuer eine adäquate Gegenleistung.

Berufsbetreuer kennen sich – entweder bereits aufgrund ihrer Ausbildung oder durch ihre beruflichen Erfahrungen – im Sozialrecht und in vielen weiteren Gebieten gut aus. Zudem haben sie gelernt, auch zu psychisch kranken Menschen Kontakt aufzubauen und deren Wünsche zu erkennen und zu berücksichtigen. Sie können zielgerichtet Sozialleistungen beantragen, führen zum Teil auch selbst Widerspruchsverfahren durch, verhandeln mit Gläubigern, bereiten notwendige Grundstücksverkäufe vor und vieles mehr. Würde ein Betroffener sich diese Leistungen auf dem freien Markt einkaufen – z.B. indem er für Streitigkeiten mit einem Sozialleistungsträger einen Rechtsanwalt beauftragt –, müsste er dafür im Regelfall ein Vielfaches von dem bezahlen, was er für die Betreuervergütung aufwenden muss.

Die Betreuungsvereine erhalten bereits eine ausreichende Landesförderung

Betreuungsvereine haben vom Gesetzgeber zwei Aufgabenbereiche übertragen bekommen: Die sogenannte Querschnittsarbeit und auch die Führung von Betreuungen. Selbst eine ausreichende Förderung der Querschnittsarbeit kann nichts an einer vorhandenen Unterdeckung in dem Bereich der Führung von Betreuungen ändern, die zwangsläufig im Lauf der Zeit zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten eines Betreuungsvereins führt.

Qualitätsdiskussion

Justizministerin Spoorendonk fordert eine „Diskussion über die Qualität in der Betreuung“. Der BdB begrüßt, dass die Justizministerin die Bedeutung der Qualitätsdebatte herausstellt. Schwer nachzuvollziehen ist allerdings die Aussage der Ministerin, man müsse über Qualität statt Vergütung sprechen. Vergütung, Zeit, Qualität – diese drei Faktoren hängen zusammen. Wie viel Zeit kann ein Berufs- bzw. Vereinsbetreuer im Rahmen seiner Vergütung für die Gestaltung einer unterstützungsorientierten Betreuungsarbeit investieren? Der BdB verweist in diesem Zusammenhang auf die entsprechenden Erläuterungen im zweiten Zwischenbericht des vom BMJV beauftragten Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) im Rahmen des Forschungsvorhabens „Qualität in der rechtlichen Betreuung“ vom 2. Februar 2017 hin (S. 33).