Zurück : Infocenter : Nachricht
Das Ende der Verhandlungen – eine Kurzinformation von Ernst-Wilhelm Luthe
hinzugefügt am 10-02-2018
Jugendhilfe, Sozialhilfe, Behindertenhilfe - das sind europarechtlich sog. einfache Zulassungssysteme (Erwägungsgrund 4 Richtlinie 2014/24/EU -ABl. 2014 L 94, 65- sowie BT-Drs. 18/6281, S. 73, 115). Ihr Kennzeichen: alle sind bei entsprechender Eignung als Anbieter dabei. Keiner bleibt auf der Strecke. Die hieraus bislang gezogene Konsequenz: keine Anbieterselektion, also kein Vergaberecht! Damit ist es vorbei.

Mit der Konkretisierung des vergaberechtlichen Auftragsbegriffs durch die EuGH-Entscheidung vom 2.6.2016 (C-410/14) bleibt nicht mehr viel übrig im Arsenal leistungserbringungsrechtlicher Vertragsformen. Man hat im Oberschwellenbereich nur noch die Wahl zwischen einer vergaberechtlichen Beauftragung „Weniger“ oder einseitigen Open House-Verträgen „mit allen“.
Open House? Das sind einseitig vorgebegene Verträge der staatlichen Seite, denen jeder beitreten kann. Es handelt sich somit um Verträge, die für alle offen und für alle gleich sind und daher auch nicht dem Vergaberecht unterliegen. Verhandlungen mit einzelnen Anbietern aber dürfen ohne Ausschreibung nicht mehr stattfinden, gleichgültig ob auf lokaler, regionaler oder bundesweiter Ebene und völlig unabhängig davon, ob alle mitmachen dürfen. Denn das Problem solcher Individualverhandlungsverträge ist, dass sie nicht zu exakt gleichen Bedingungen mit sämtlichen Anbietern geschlossen werden. Das ist jetzt als selektive Auftragsvergabe zu bewerten. Und eine solche ist nach Maßgabe des dem nationalen Recht übergeordneten EU-Rechts ohne ein förmliches Vergabeverfahren nicht zulässig. Zweifelsohne – man wird in dieser Hinsicht einstweilen noch mit Vollzugsdefiziten in großem Stil zu rechnen haben. Mögliche Schadensersatzprozesse wegen unzulässiger de-facto-Vergabe könnten aber alsbald für Ernüchterung sorgen. Zudem sind die Gerichte gehalten, entsprechende Vorlagefragen an den EuGH zu formulieren, wenn sie vom EU-Recht abweichend entscheiden wollen. Im Gesundheitsbereich wurden bereits die erforderlichen Konsequenzen gezogen (OLG Düsseldorf v. 21.12.2016 – VII Verg 26/16; BKartA v. 28.9.2017 – VK 1-93/17). Und natürlich sind die Entscheidungen auf alles andere übertragbar. Wenn nicht alles täuscht sehen wir hier den Beginn einer recht weit reichenden Strukturreform.