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Missbrauchsbeauftragte Christine Bergmann beendet Tätigkeit: „Meine Arbeit war nur der erste Schritt!“
hinzugefügt am 25-10-2011
Hilfesystem für Betroffene in Institutionen und in der Familie soll aufgebaut werden. Unabhängige Nachfolgestelle startet am 1. November 2011. Telefonische Anlaufstelle wird fortgeführt. 22.000 Anrufe und Briefe sind in der Anlaufstelle eingegangen.

Berlin, 25. Oktober 2011. Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin a.D., beendet am 31. Oktober 2011 ihre Arbeit als Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kin-desmissbrauchs. Nach Übergabe ihres Abschlussberichts im Mai 2011 und der Diskussion ihrer Emp-fehlungen am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ sei ihr Auftrag abgearbeitet. „Jetzt muss die Politik handeln“, betonte Bergmann auf ihrer heutigen Abschlusspressekonferenz, „viele Betroffe-ne leiden noch immer unter den Folgen des Missbrauchs und benötigen dringend Hilfen bei Therapie und Beratung.“ Ihre Arbeit sei nur der erste Schritt, nach Vorlage des Abschlussberichts des Runden Tisches Ende November liege die Umsetzung der Empfehlungen in der Verantwortung der Bundesregierung.

Gemeinsames Hilfesystem soll aufgebaut werden - Reform des OEG nötig

Die Unabhängige Beauftragte begrüßt, dass wie von ihr empfohlen ein gemeinsames Hilfesystem für Betroffene in Institutionen und in der Familie aufgebaut werden soll, das an den Folgeschäden ansetzt und Hilfen insbesondere für Therapien bereitstellt. Getragen werden sollen die Kosten vom Bund so-wie je nach Verantwortungsbereich von Ländern und Institutionen. Es handelt sich um immaterielle Hilfen, nicht um Barmittel. Finanzielle Entschädigungen sollen die jeweiligen Institutionen leisten. Zu der von der Unabhängigen Beauftragten hierbei geforderten Orientierung an verbindlichen Standards und an Schmerzensgeldtabellen erwartet sie eine klare Aussage des Runden Tisches. Beim Opferentschädigungsgesetz (OEG) fordert die Unabhängige Beauftragte eine verfahrensvorgelagerte Rechtsberatung sowie die Öffnung des Zugangs auch für Betroffene vor 1976 (alte Bundeslän-der) und 1990 (neue Bundesländer). Ein Konsens mit dem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales zeichne sich hierzu nicht ab, so Bergmann. Für DDR-Heimkinder sollen Vorschläge für Heimkinder (West) Anwendung finden.

Therapieangebote müssen erweitert und Beratungsstellen bundesweit gesichert werden, Kampagnen für Kinder sollten zeitnah umgesetzt werden

Eine der Hauptforderungen von Betroffenen ist ein verbessertes Therapieangebot. Die Einbeziehung alternativer Therapien in die ambulante Therapie sowie das von der Unabhängigen Beauftragten vor-geschlagene Ambulanzmodell werden Gegenstand weiterer Gespräche mit dem Bundesgesundheits-ministerium sein. Zur Forderung eines flächen-deckenden Ausbaus und einer finanziellen Sicherung spezialisierter Bera-tungsangebote sowie eines Rechtsanspruchs Betroffener auf Beratung gibt es am Runden Tisch noch keine konkreten Vorschläge. Bei rechtlichen Themen sowie im Bereich der Prävention hat der Runde Tisch bereits weitreichende Vorschläge unterbreitet. Nach der Kampagne „Sprechen hilft!“ der Unabhängigen Beauftragten, die sich vor allem an ältere Betroffene richtete, fordert Bergmann nun entsprechende Aufklärungskampagnen für Kinder. Auf Initiative der Unabhängigen Beauftragten konnte die renommierte Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Nächste Schritte durch die Nachfolge-stelle der Unabhängigen Beauftragten und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wären wünschenswert. Auch KI.KA wird die Thematik in 2012 mit einem Sonderprogramm in
verschiedenen Formaten unterstützen.

Unabhängige Nachfolgestelle und Weiterführung der Telefonischen Anlaufstelle sind
zugesagt

Bereits in der letzten Sitzung des Runden Tisches im Juni 2011 wurden die Fortführung einer unab-hängigen Stelle und die Weiterführung der telefonischen Anlaufstelle ab 1. November 2011 zugesagt. Über die Leitung wird derzeit auf ministerieller Ebene entschieden. „Die Unabhängigkeit ist wichtig“, erläuterte Bergmann, „damit die Betroffenen das Vertrauen in eine solche Stelle behalten und ein un-abhängiges Monitoring der Maßnahmen und Aufarbeitung in den Institutionen erfolgen kann.“ Noch immer gehen in der Anlaufstelle täglich 40 bis 60 Anrufe ein. „Die Anrufzahlen in der telefonischen Anlaufstelle belegen, wie wichtig ein kontinuierliches bundesweites Angebot für Betroffene ist“, betonte Prof. Dr. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm und verantwortlich für die Auswertung der Anrufe und Briefe. Es handele sich zwar nicht um eine repräsentative Stichprobe, so Fegert, „die Ergebnisse werfen aber ein Vergrößerungsglas auf das Schlimmste.“ Im Vergleich zu Prävalenzstudien meldeten sich vor allem ältere Betroffene in der Anlaufstelle. Viele von ihnen sprachen zum ersten Mal über das Erlebte und hatten meist schweren, mehrfachen und lang anhaltenden sexuellen Missbrauch erlebt.

„Betroffene müssen als Expertinnen und Experten in die kommenden politischen Entscheidungen ein-bezogen werden“, so Bergmann. Es sei vieles auf den Weg gebracht worden, aber die Gesellschaft müsse weiter sensibilisiert und die Maßnahmen jetzt auch umgesetzt werden. Auch sie werde das Thema weiter beschäftigen, so Bergmann, die Arbeit habe sie als sehr sinnvoll erlebt, „die Schicksale der Betroffenen haben mich tief berührt, das lässt einen so schnell nicht wieder los.“


Weitere Informationen finden Sie unter: www.beauftragte-missbrauch.de