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10 Jahre „Hartz IV“ – die Diakonie zieht Bilanz
hinzugefügt am 16-08-2012
Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. (DWBO) zieht anlässlich der so genannten „Hartz IV“-Reformen vor zehn Jahren eine kritische Bilanz: Diakoniedirektorin Susanne Kahl-Passoth fordert die Missstände der „Hartz IV“-Gesetzgebung endlich zu korrigieren.

Im August vor genau 10 Jahren hat die »Kommission moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« unter Leitung von Peter Hartz Arbeitsmarktreformen angestoßen, um durch Reformierung und Implementierung von organisatorischen Verbesserungen der staatlichen Arbeitsvermittlung die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland massiv zu senken. 2005 trat „Hartz IV“ zur Reform des Arbeitsmarktes in Kraft und regelte die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II. Die Direktorin des DWBO, Susanne Kahl-Passoth, sagte anlässlich des 10jährigen „Jubiläums“: „Es ist nicht hinnehmbar, dass in einem so reichen Land wie Deutschland jeden Tag Menschen in Armut und sozialer Ausgrenzung leben und um Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf bangen müssen. Die Missstände der Hartz IV- Gesetzgebung wurden trotz zahlreicher mahnender Stimmen immer noch nicht in ausreichendem Maße korrigiert.“



In den vergangenen Jahren stand das Arbeitslosengeld II, das sogenannte Hartz IV, mehrfach auf dem Prüfstand. Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 mussten die Regelsätze überarbeitet werden, da sie ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht gewährleisten konnten. Auch die überarbeiteten Regelsätze standen in der Kritik. Das Sozialgericht Berlin hat im April dieses Jahres einen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht zur erneuten Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Regelsatzhöhe gemacht.



Im Frühjahr 2012 hat der Diakonie Bundesverband in einer bundesweiten Umfrage die Erfahrungen von 110 Beratungsstellen der Diakonie zusammengetragen und veröffentlicht. Die Ergebnisse liefern ein erschreckendes Bild: Die Regelsätze und Ansprüche auf einmalige oder personenbezogene Leistungen sind für viele Leistungsberechtigte nicht gesichert; bei den Jobcentern bestehen durchgehend gravierende Mängel in der Beratung und der Erreichbarkeit der zuständigen Beratenden; die Leistungsbescheide sind nicht nachvollziehbar; vielfach werden die Regelsätze unsachgemäß berechnet oder Einkommen unkorrekt und verspätet angerechnet, was zu Engpässen bei den Betroffenen führt; bezahlbarer Wohnraum steht nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, so dass Wohnungslosigkeit zunimmt; Sanktionen insbesondere gegen junge Erwachsene erfolgen pauschal und ohne Berücksichtigung der persönlichen Situation der Betroffenen; das Bildungs- und Teilhabepaket erreicht die Leistungsberechtigten aufgrund zu hoher Leistungs- und Antragswege nicht.



Insbesondere in Berlin haben die Verknappung von Wohnraum und die Verteuerung der Mieten bei Neuanmietung von Wohnraum dazu geführt, dass ein großer Teil der Leistungsberechtigten einen Teil der Kosten der Unterkunft aus dem Regelsatz finanzieren muss. Das massive Ansteigen von Kosten für Haushaltsenergie in den vergangenen Jahren hat das Entstehen von Energieschulden befördert. Etwa 125.000 sozialversicherungspflichtig Vollbeschäftigte und knapp 22.000 Selbständige Berliner sind auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen. 2011 wurden in Berlin insgesamt gut 35.000 Bezieher von Arbeitslosengeld II sanktioniert.



Die Diakonie fordert die Erhöhung der Regelleistung auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, die Erstattung der tatsächlichen Wohnkosten in angemessener Höhe unter Berücksichtigung tatsächlich verfügbaren Wohnraums, die Rücknahme von Kürzungen der Eingliederungstitel und den Ausbau öffentlich geförderter Arbeit insbesondere für arbeitsmarktferne Personen, eine Entschärfung der Sanktionierungspraxis, die Vereinfachung und Erweiterung des Bildungs- und Teilhabepakets, den Wegfall der Anrechnung des Elterngeldes und eine sinnvolle, den Leistungsberechtigten nicht überfordernde Darlehenspraxis.



„Die Kinder sind stets die hauptsächlich Leidtragenden. Wer in Armut und sozialer Ausgrenzung aufwächst, kann es auch als Erwachsener kaum schaffen, aus eigener Kraft der Armutsspirale zu entrinnen“, so Kahl-Passoth.


Berlin, den 15. August 2012



Kontakt:

Lena Högemann, Pressesprecherin
Telefon: 030 – 820 97-110
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Hoegemann.L@dwbo.de oder pressestelle-diakonie@dwbo.de