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Reform des SGB VIII
hinzugefügt am 23-09-2016
Liebe Nutzer des info sozial,
die Jugendhilfe wird reformiert ( vgl. http://www.ijosblog.de/erster-entwurf-zur-sgb-viii-reform/).
Ich freue mich Ihnen die Arbeitsfassung des Gesetzesentwurfs zur Reform des SGB VIII präsentieren zu können (Stand 23.8.2016), an der ich maßgeblich mitgewirkt habe.


Der Entwurf enthält u.a. die seit langem fällige inklusive Lösung mit Vollzuständigkeit des Jugendamts für behinderte junge Menschen und eine neue Art von Leistungen, die als „Leistungen zur Entwicklung und Teilhabe“ jetzt mit einem Auswahlermessen versehen wurden. Die individuelle Bedarfsplanung wurde weiter ausdifferenziert und zielt verstärkt auf Hilfen in sozialräumlichen Netzwerken. Überhaupt ist die „Sozialraumorientierung“ jetzt erstmalig im Gesetz verankert - sowohl bei den Leistungen als auch bei der Anbieterfinanzierung. Damit die Orientierung am Sozialraum kein leeres Versprechen bleibt wurden die konzeptionellen Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen erheblich erweitert.

Das eigentliche HerzstĂĽck der Reform liegt daher im Dreiklang
einer verstärkten kommunalen Gestaltungs- und Finanzierungsverantwortung (§ 79) mit Ausstrahlungswirkung auf den Bereich der Anbieterfinanzierung (§§ 76 a Abs. 1, 78 b Abs. 4, 76 c)
verbunden mit der Einführung eines Abschlussermessens im Bereich der Entgeltfinanzierung (§ 78 b Abs. 2), welches indirekt damit auch Ausschreibungen auf der Basis des neuen Vergaberechts (§ 130 GWB) ermöglicht
dies alles vor dem Hintergrund der Einführung einer Kombinationsleistung (§ 36 b Abs. 4) mit variabel kombinierbaren stationären, ambulanten, individualrechtlichen und infrastrukturellen Leistungsbestandteilen.

Derartige Optionen sind innerhalb des herkömmlichen Dreiecksverhältnisses der Anbieterfinanzierung undenkbar. Insbesondere die Kombinationsleistung erfordert sozialräumliche Gestaltungsvorgaben von kommunaler Seite und setzt vor allem kooperationswillige und –fähige Anbieter voraus. Die nunmehr eröffnete Möglichkeit der Ausschreibung von Leistungen und damit der Beschränkung des Anbieterkreises, verbunden mit der Möglichkeit der Bildung von Anbieterkonsortien, wird daher – zumindest in meinen Augen - zum Dreh- und Angelpunkt der Reform. Gleichwohl kann sich die Kommune weiterhin auch in den bewährten Bahnen des Dreiecksverhältnisses bewegen: die Wahl der Finanzierungsform liegt im kommunalen Ermessen (§§ 76 c, 79).

Für die nähere Gestaltung des Sozialraumgedankens durch die Kommunen liegen aus dem Bereich des Managed Care unterschiedlich gelagerte Modelle der integrierten Versorgung vor, deren Strukturen auf die Jugendhilfe m.E. gut übertragbar sind.

Erwartungsgemäß weht von Anbieterseite derzeit ein heftiger Gegenwind. Es würde mich nicht wundern, wenn die Reform in ihrem Kern, nämlich bei der Einräumung eines kommunalen Wahlrechts hinsichtlich der Finanzierungsform, wieder gekippt wird. Als Politiksegment ist mir die Jugendhilfe ohnehin seit je ein Rätsel. Vielleicht ist es die Instrumentalisierbarkeit einer ausgeprägten Empörungskultur, die das Reformieren hier so schwierig macht. Vielleicht ist aber auch das strategische Leitbild der Sozialraumorientierung schon etwas abgenutzt und benötigt eine kleine Auffrischung aus dem gedanklichen Arsenal der „Netzwerkgesellschaft“ (Castells, McLuhan, Baecker), um der Kritik von Interessenvertretern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn ich die Jugendhilfe bspw. vergleiche mit dem Gesundheitssektor, wo derzeit unter den Vorzeichen von Prävention und Patientenorientierung eine Reform nach der anderen durchgepeitscht wird – und das gegenüber Pressure Groups von ganz anderer Qualität - so sind die nunmehr seit fast 20 Jahren andauernden Bemühungen um die Einführung von Sozialraumkonzepten für mich so recht nicht mehr nachzuvollziehen.

So oder so – mit einer Reform darf gerechnet werden, wie immer sie auch ausfällt.

Mit den besten GrĂĽĂźen von der Ostfalia Hochschule (Institut fĂĽr angewandte Rechts- und Sozialforschung)
Ihr
Ernst-Wilhelm Luthe