Joachim Armbrust: Kinder bewältigen ihre Angst

hinzugefügt: 27-05-2009
So können Eltern helfen, Einband: kartoniert. 128 Seiten. Preis: 12.95 €
Urania Verlag

ISBN: 978-7831-6082-6

Jeder Entwicklungsschritt, speziell in der Kindheit, wird begleitet von Angst. Allzu oft versuchen wir – die Erwachsenen -, Kinder vor Situationen zu schützen, die ihnen Angst machen. Nicht selten wollen wir uns sogar selbst weismachen, dass die kindliche Welt voller Glück ist und Angst(-momente) nicht kennt. Gefühle der Angst zu meiden, nicht zuzulassen oder auszureden, führt jedoch nicht dazu, Angst als natürliche Emotion kennen zu lernen und mit ihr umgehen zu lernen. Hier sollte aus meiner Sicht elterliche Begleitung ansetzen.
Es ist für die Kinder wichtig, sich mit ihren Ängsten auseinanderzusetzen, sie kennen zu lernen und sich ihnen zu stellen. Das können sie aber nur, wenn wir als Erwachsene die Wirklichkeit ihrer Ängste anerkennen, wenn wir versuchen mitfühlend zu verstehen, wie es ihnen in der Konfrontation mit ihren Ängsten geht und wenn wir sie darin unterstützen, Rüstzeug zu entwickeln, mit dem sie die Angst als Partner akzeptieren und nutzen lernen. Denn Angst führt auch zu Mut und Stolz, wenn sie überwunden wird!!

Wovor nun haben Kinder Angst? Sie haben Angst vor dem Alleinsein bzw. vor dem Verlassen werden. Sie haben Angst vor Ablehnung und Liebesentzug, Angst davor, die Eltern könnten sich trennen. Sie haben Ängste, die den eigenen Körper betreffen und sie erzählen immer wieder Träume, die ihnen Angst machen. Kinder haben Angst vor Dunkelheit und vor dem Einschlafen.

Die Ängste der Kinder unterscheiden sich kaum von denen der Erwachsenen.
Kinder erleben ihre Ängste allerdings sehr oft sehr viel intensiver noch als Erwachsene und fühlen sich ihnen noch stärker ausgeliefert, ähnlich einer Nussschale, die auf dem aufgewühlten, offenen Meer hin und her geworfen wird. Kinder sind von ihren Ängsten zuweilen ganz besetzt und ausgefüllt.
Kinder „sind ihre Ängste“ mit Haut und Haaren, während Erwachsene Ängste haben. Erwachsene können ihre Ängste reflektieren, sich von ihnen distanzieren, ihnen einen bestimmten Platz einräumen oder auch zuweisen, sie können ihre Ängste kontrollieren und sogar ignorieren. Sie können mit ihrer Angst ein ernstes Wörtchen reden und sie können ihrer Angst gut zu reden. Sie können sich Mut machen und sich trösten. Sie können all dies, weil sie schon viele Erfahrungen mit Angst gesammelt haben und dadurch ein Gespür dafür haben, wie sie mit ihren Ängsten am Besten umgehen, um sie zu besänftigen und um ihnen einen hilfreichen Platz einzuräumen. Sie wissen genau, ob sie eher streng sein müssen mit ihnen oder eher einfühlsam sein und darauf eingehen dürfen.
Kinder haben noch nicht so viel Erfahrung mit ihren Ängsten und oft entzieht sich ihnen auch der Grund dafür, warum sie Angst haben. Während der Erwachsene Ursachenforschung betreiben kann und aufgrund seines Erfahrungsschatzes dann auch zu Schlüssen kommen kann, woher die Angst kommt, ist das Kind darauf angewiesen, dass wir es darin unterstützen, Gründe für seine Angst zu finden und vor allen Dingen den Bedeutungsrahmen um die Angst herum so verändern zu helfen, dass das Kind mit der Angst weiter leben kann und es nicht von ihr blockiert und vom Leben abgehalten wird.

Was aber, wenn sich ein Kind nicht wahrgenommen und verstanden fühlt mit seiner Angst? Oder noch schlimmer, was, wenn Eltern die ureigensten Bedürfnisse ihrer Kinder gar nicht wahrnehmen oder erkennen und deshalb Bedingungen schaffen, die das Kind überfordern oder unterfordern? Haben die Kinder deshalb Angst, weil die Bedingungen nicht kindgerecht oder nicht altersgemäß sind, dann werden die Eltern natürlich auch kaum einen Zugang zu den Ängsten ihres Kindes bekommen, weil diese ja darauf beruhen, dass nicht gut für sie gesorgt ist. Kinder behalten Ängste, die solche Wurzeln des elterlichen Nichtwissens haben, für sich, schon allein auch deshalb, weil sie sich ein gutes Elternbild bewahren wollen. Kinder fühlen sich paradoxerweise im schlimmsten Falle sogar noch schuldig dafür, dass sie solche Ängste haben. Sie machen diese Ängste oftmals mit sich aus. Für das Kind fühlt sich das an, als ob es sein Haus mit einem Tiger teilt. Tiger sind unberechenbare Raubkatzen, sie reißen auch dann, wenn sie gar keinen Hunger haben. Sie können sich vorstellen, wie diese inneren Empfindungen, den Alltag des Kindes dann mitbestimmen. Wer Angsterregendes von außen oder innen nicht steuern kann, kann kein selbstbewusstes Eigengefühl entwickeln. Kindliche Ängste zeigen sich dann als Ausweg oft indirekt über Bilder, die sie aus dem Inneren heraus kreieren. Die Kinder haben dann Angst vor Hexen, Wölfen, Gespenstern, vor Handschuhen, vor der Dunkelheit, vor Blut, vor bärtigen Männern, vor scharfen Gegenständen, vor Zwergen und Riesen oder gar vor Kröten und Ratten.

So beklagte sich einmal eine alleinerziehende Mutter bei mir recht unwirsch und ungeduldig über die Ängste ihres Kindes. Ihre Tochter habe eine recht rege Fantasie. Es sei furchtbar, was sich ihr Kind so alles zusammenreime. Sie wundere sich, wo es all diese Geschichten und Spinnereien her hat. Sie habe gar keine Lust, sich mit diesen Hirngespinsten zu befassen. „Immer wieder sage ich ihr, es gibt keine Hexen oder du brauchst keine Angst haben vor irgendwelchen Drachen und Ungeheuern, trotzdem hört das Kind nicht auf, sich an mich zu klammern, sobald ich zuhause bin. Also von mir hat sie das nicht. Auch kann sie ohne mich nicht einschlafen. Aber wenn ich müde von der Arbeit komme, möchte ich nicht gerade die restliche Zeit im Bett meiner Tochter verbringen. Wenn ich es tue, schlafe ich meist selbst ein und der Abend ist für mich gelaufen.“ Über mein Nachfragen stellt sich heraus, dass das 8-jährige Mädchen über weite Strecken des Tages auf sich allein gestellt ist. Es schaut über Stunden fern und das kreuz und quer, nicht nur, wenn die Mutter nicht da ist, sondern auch, wenn die Mutter da ist und es schaut immer allein. Es nimmt offensichtlich viele Bilder und Geschichten in sich auf, für die es noch nicht reif ist. Ich versuchte der Mutter einerseits zu vermitteln, dass Kinder in diesem Alter immer auch noch auf die Anwesenheit von Erwachsenen angewiesen sind oder mindestens auf das Gefühl, von ihnen gesehen zu werden, in dem, was ihre Situation ausmacht. „Haben Sie denn Ihrer Tochter schon einmal gesagt, wie dankbar Sie sind, dass sie das alles so gut mitträgt und dass Sie eigentlich wissen, dass sie damit noch überfordert ist? Haben Sie ihr dafür schon einmal als Ausgleich eine besondere Art der Zuwendung angeboten? Komm, heute am Samstag lassen wir es uns einmal ganz besonders gut gehen. Ich möchte dich massieren, mit dir ins Schwimmbad gehen, einen Ausflug mit dir machen, hören wie deine Woche war… .“
Zum Anderen versuchte ich ihr zu sagen, dass es besser wäre, mit dem Kind fern zu sehen. Oftmals bräuchten die Kinder Unterstützung, um das, was sie am Bildschirm erleben, verarbeiten zu können. Im ersten Moment war die Mutter nicht in der Lage diese Handlungsangebote von mir aufzunehmen. Sie war ganz gefangen noch von dem komischen Gebaren ihrer Tochter, das ihr Nerv und Zeit raubt und zu dem sie dazu auch noch keinen Zugang findet. „Manchmal denke ich schon, dass sie regelrecht eine Angstkrankheit hat. Sie kann z. B. nur noch tagsüber aufs Klo. In der Nacht vermeidet sie es, wie der Teufel das Weihwasser. Auch muss sie sich den ganzen Tag immer wieder die Hände waschen, weil sie das Gefühl hat, etwas angefasst zu haben, was sie dreckig macht.“ Ich könnte dieser Mutter sagen: „Das Kind will eben mit seinem Tagesbewusstsein kontrollieren, was es wieder hergibt. Da scheint soviel Unverdautes dabei zu sein, was ihr Angst macht, dass sie sich ihrem Körper nicht einfach anvertrauen kann. Das Kind kommt ja auch mit so vielen Dingen in Berührung, denen es noch nicht wirklich gewachsen ist, dass es verständlich ist, dass es diese am liebsten wieder abwaschen würde, um sie wieder loszuwerden. Das Kind bräuchte eindeutig Ihre wache Aufmerksamkeit als Mutter beim Verdauen dieser Erlebnisse, die es hatte und ebenso beim Bewältigen der Empfindungen, die es innerlich umtreibt. Natürlich bräuchte es auch einen mehr Halt und Wärme gebenden Rahmen.“ Es ist schwer, einer Mutter dies zu vermitteln, ohne ihr Schuldgefühle zu machen und ihr das Gefühl zu geben, dass sie eine schlechte Mutter ist. Im Grunde muss sie es Schritt für Schritt für sich selbst entdecken. Aber vielleicht wäre die Mutter am Ende froh, wenn sich ihr die Zusammenhänge erschließen würden, um die Angst ihrer Tochter herum. Denn möglicherweise hat die Mutter gerade einen solchen Anspruch, es mit dem Kind alleine schaffen zu müssen, die Aufgaben von Zweien übernehmen zu müssen und niemand sonst zu brauchen, dass sie sich selbst auch viel zu hart „an die Kandare“ nimmt.

Die Kinder sprechen also in Bildern und Handlungen zu uns, die zunächst nicht unbedingt die Verbindung zu ihrer eigentlichen Angst offenbaren. Wir müssen hinhören, die Zeichen unserer Kinder aufmerksam wahrnehmen lernen und dürfen nicht alles, was sich in unserer erwachsenen Welt nicht gleich einordnen lässt, als Fantasiegebilde abtun. Wir dürfen die Bilder der Kinder aber auch nicht einfach mit unseren Bedeutungsgebungen überfrachten, sondern wir können sie dem Kind nur anbieten und müssen warten, wo unsere Versuche von Seiten des Kindes bestätigende Resonanz finden. Kinder plagen Verlustängste, Angst vor Selbständigkeit, Angst, sich schmutzig zu machen, Angst vor Körperkontakt, vor Fehlern, vor Krankheit und Tod, entführt zu werden, manchmal auch vor Schule, vor Prüfungen, vor Zahnarzt, davor, zu schnell zu wachsen oder vor Zurücksetzung. Sie haben Flugangst, Angst vor der Angst, vor Monster, vor Gespenstern, vor Ungehorsam, vor Gewitter und Donner, vor scharfen Gegenständen, vor Handschuhen, im Dunkeln, vor einem Umzug, davor, zu kurz zu kommen oder auch Angst vor medizinischen Eingriffen. Wenn sie Angst haben, haben sie eine flaue Leere im Bauch, schwabblige Knie, starkes Herzklopfen und sind begleitet von unruhigen Gefühlen rund um die Angst. All das gehört in den Alltag von Kindern, ohne dass wir gleich Schlimmstes befürchten müssten. Wenn wir uns den Ängsten der Kinder zuwenden, lösen sich die meisten recht schnell wieder auf.
Werden die Ängste der Kinder anerkannt, bilden sie im Laufe ihres Lebens dann ihre je besondere Art des Angsterlebens aus und entwickeln ebenso ihre individuellen Strategien, mit ihren Ängsten und ihrem Angsterleben umzugehen, wie der Erwachsene auch. Sie entwickeln also ihre je eigenen Angst- und Situationsbewältigungsstrategien.

Elterliche Haltung allerdings kann Angstbewältigung behindern. Was Kindern sicher nicht gut tut, wenn Eltern sie dazu auffordern, ihre Angstgrenzen zu ignorieren und allzu mutig zu überschreiten. Es ist aber genauso ungünstig, wenn Eltern ihren Kindern nicht zutrauen, dass sie mit ihren Ängsten fertig werden und einen kreativen Umgang mit ihnen finden. In der Biografie eines jeden Kindes gibt es auch entwicklungsbedingte und milieubedingte Angstsituationen, die das Kind zu bewältigen aufgerufen ist. Manchmal sind diese Situationen auch so angelegt, dass sie das Kind überfordern und es sie alleine nicht zu einer guten Lösung führen kann. Hier braucht es elterliche Hilfe, bleibt sie aus, fühlt sich das Kind in seiner Angst gefangen. Wenig hilfreich sind auch Eltern, die überbehüten und dem Kind keinen Erprobungsraum zubilligen, in dem es altersentsprechend Erfahrungen machen kann, Eltern, die ihr Kind sehr eng an sich selbst binden, weil es sie vor eigenen Ängsten beschützen soll oder aber auch Eltern die ihrem Kind keinen Halt und keinen haltgebenden, überschaubaren Raum, - der vom Kind bewältigt werden kann -, zur Verfügung stellen und das Kind sich angstvoll in der Unbegrenztheit verliert. Auch fehlender Körperkontakt oder emotionale Leere kann ein Kind in der Angstbewältigung behindern.. In solchen besonderen Situationen, kann es geschehen, dass die Angst ein solches Ausmaß erreicht, dass sie ein normales Leben, einen normal gelebten Kinderalltag nicht mehr zu lässt. Schließlich wird die normale, gesunde Reifung des Kindes ja behindert. Nicht selten schützt das Kind die Eltern und sich selbst dann mit Nicht-Sehen, was zu einer Verschiebung der Ängste führen kann. Dann behindern die Ängste die Entwicklung, werden neurotisch oder pathologisch und verlieren ihre lebenserhaltende Schutzfunktion, sie können sogar das Kind in diesem Zustand schwächen, bedrohen und einschüchtern.
Nicht geliebt, angenommen, in der eigenen Entwicklung unterstützt und bestätigt zu werden, macht Kindern Angst. Sie betteln dann um Zuwendung und darum, gesehen und erkannt zu werden von den geliebten Eltern – wenn nötig mit destruktiv-störendem Verhalten. Spätestens dann schaffen es die meisten Eltern Gott sei dank, sich Hilfe zu holen, um besser zu verstehen, was in ihren Kindern vorgeht. Und das ist auch gut so.

Kontakt:
Praxis für Psychotherapie, Paartherapie, Coaching, Mediation und Prozessgestaltung
Joachim Armbrust
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