Wolfgang Edelstein/Fritz Oser/Peter Schuster (Hg.) - Moralische Erziehung in der Schule

hinzugefügt: 12-07-2001
Entwicklungspsychologie und pädagogische Praxis; 2001, 268 S., DM 48,00
ISBN 3-407-25246-3

Die Form des Lernens prädisponiert dessen Inhalt und Ziel, eine These, die deutlich macht, dass Werteerziehung, jedenfalls im Sinne einer blossen Vermittlung von Normen und Werten, solange wirkungslos bleibt, ja bleiben muß, wie sie sich nur auf deren inhaltliche Aspekte beschränkt. Moralisches Urteilen, erst recht moralisches Handeln, vermittelt sich somit sicher nicht in einem Modell des Inhaltslernens, ist die Frage nach dem guten und gerechten Leben nicht so einfach zu beantworten, wie die nach der Hauptstadt der Bundesrepublik. Und so stellt sich die Frage, wie eine (Schul)Pädagogik beschaffen sein muß, in der Inhalt und Struktur von Erziehung sich komplementär und nicht divergent verhalten.
Als einer, der dies in den Diskussionen um Werte- bzw. moralischer Erziehung am deutlichsten betont hat, ist sicher Lawrence Kohlberg zu nennen, dessen Ansatz moralischer Entwicklung und Erziehung auch hierzulande umfassend rezipiert und weiterentwickelt worden ist. Gerade in seinen späten Arbeiten hat Kohlberg immer wieder deutlich gemacht, dass sich moralische Erziehung nicht auf die Vermittlung von Inhalten beschränken darf, sondern diese Inhalte auch des Pendants der Struktur des Lernens in Form `Gerechter Gemeinschaften`(just communities) bedürfen. Ein Ansatz somit, der durchaus erfolgversprechend zu sein scheint für moralische Erziehung in der Schule, betont er doch nicht lediglich die kompensatorische Komponente der Vermittlung, sondern die Notwendigkeit einer Veränderung der Struktur und Organisation von Schule selbst.
Genau hier setzt der vorliegende Band mit der Intention an, dass der Ansatz Kohlbergs und seine "Konzeption einer entwicklungsorientierten Didaktik soziomoralischer Prozesse die Praktiker überzeugt und zur Weiterentwicklung ihrer Praxis anregt" (S. 9).
Die Beiträge des Sammelbandes gliedern sich sich in die drei Teile Grundlagen - Erweiterungen - Anwendungen, damit einer Struktur folgend, wie sie von Fritz Oser und Wolfgang Althof in ihrem 1992 erschienenen Lehrbuch zur moralischen Erziehung (F.Oser/W. Althof, Moralische Selbstbestimmung) konzipiert worden ist.
Im ersten Teil führt Wolfgang Edelstein in das Thema ein, indem er den moralpädagogischen Diskurs im Kontext von Modernisierungs- und Individualisierungsprozessen skizziert, ein wieder veröffentlicher Beitrag von Kohlberg gibt einen Überblick über seine kognitiv-entwicklungsorientierte Theorie des Moralerwerbs, Fritz Oser schließlich stellt acht Strategien der Wert- und Moralerziehung vor.
Der zweite Teil widmet sich Erweiterungen der Theorie Kohlbergs, wobei Monika Keller die bei Kohlberg unterbelichtet bleibende Entwicklung des frühen moralischen Denkens in Kindheit und Jugend und Gertrud Nummer-Winkler erneut Aspekte von Gerechtigkeits- versus Fürsorgemoral beleuchtet, bevor Lothar Krappmann der Frage nachgeht, wie sich Moral in der Sozialwelt von Kindern vermittelt und welchen Stellenwert hierbei die Erwachsenden und welchen die peer groups selbst haben.
Der dritte Teil präsentiert drei Anwendungen der unterrichtspraktischen Umsetzung des Ansatzes Kohlbergs. Peter Schuster geht es in seinem Beitrag darum, "im Anschluss an die kognitv-strukturtheoretische Forschungstradition zur Moralentwicklung, Wege zu einer entwicklungsbezogenen Gestaltung des Lehr- und Lernprozesses aufzuzeigen und so eine theoretische Unterrichtsarbeit zu stützen" (S. 177), wobei er sich auf die `kleine` Form des Ansatzes Kohlbergs, die Dilemma-Methode, beschränkt. Ebenfalls auf der Dilemma-Methode basiert der Ansatz von Sigrún Adalbjarnardóttir, wobei sie jedoch entgegen den hypothetischen Dilemmata solche präferiert, die der Lebenswelt der SchülerInnen und ihren realen moralischen Konflikten entnommen sind. Im abschliessenden Beitrag von Fritz Oser und Wolfgang Althof schliesslich präsentieren diese die `große` Form des Konzepts von Kohlberg, die Gerechte Schulgemeinschaft, wobei diese sowohl theoretisch eingeführt als auch anhand von konkreten Projekten illustriert wird.
Der Band bietet eines guten Überblick zum Thema moralische Erziehung im Fokus auf deren Anwendbarkeit in der Schule und ist somit als Einführung in die Thematik sehr empfehlenswert. LeserInnen jedoch, die auch nur annähernd mit der Materie vertraut sind, wird die Lektüre wohl eher enttäuschen, drängt sich doch der Eindruck auf, dass hier bereits in früheren Zusammenhängen publizierte Positionen unter neuer thematischer Schwerpunktsetzung zurecht geschnitten sind.

Erschienen im Beltz Verlag.

Rezension von Friedhelm Ackermann