Werner Lindner (Hg.) - Ethnographische Methoden in der Jugendarbeit

hinzugefügt: 26-06-2001
Zugänge, Anregungen und Praxisbeispiele, 2000, 192 S., DM 36.-
ISBN 3-8100-2880-0

Aus dem Design zahlreicher Projekte im Bereich der Jugend- und Sozialarbeitsforschung sind gegenwärtig qualitative bzw. ethnographische Forschungsmethoden kaum noch wegzudenken. Zwar oftmals lediglich in Vorstudien zur Konzeptionierung der `eigentlichen` quantitativen Analyse eingesetzt oder auch halbherzig und den Möglichkeiten des qualitativen Materials kaum Rechnung tragend, wie etwa in der 13. Shellstudie, aber immerhin ein deutlicher Trend in Richtung qualitativer Methoden. Ganz anders gestaltet sich dies in der Praxis von Jugend- und Sozialer Arbeit. Hier gelten den meisten KollegInnen die Methoden als zu sperrig, kaum geeignet zur Reflexion des eigenen Handelns oder auch zur Entwicklung von Konzepten. Wer einmal mit PraktikerInnen der Jugend- oder Sozialen Arbeit qualitative Fallrekonstruktionen durchgeführt hat, weiß um die Ernüchterung angesichts der arbeits- und zeitintensiven Interpretationen. Und auch Studierende der Sozialen Arbeit verweigern sich oftmals, quasi die zukünftige Arbeitsbelastung antizipierend, solchen Fallrekonstruktionen mit dem Argument: "Das ist doch nur was für die Forschung, völlig unrealistisch, das in der Praxis umzusetzen."
An diesem Dilemma, dass einerseits die Relevanz qualitativer und ethnographischer Methoden für die Herausbildung fachlicher Kompetenz zunehmend weniger in Frage gestellt wird, andereseits jedoch die hierfür notwendigen Methoden als zu sperrig gelten und somit selten den Weg in die Praxis finden, und wenn, dann lediglich in reduzierter Form, setzt der von Werner Lindner herausgegebene Band an.
Ausgangspunkt hierbei ist die Feststellung, dass die gegenwärtige Qualitätsdebatte äußerst einseitig geführt wird, leitend hier Begriffe der Effizienz, des Management und der Neuen Steuerung sind und nicht die Frage nach Qualität und Qualifizierung. In diesem Sinne versteht Lindner den Band als Beitrag, einen genuin sozialpädagogischen Akzent zu setzen und die Qualitätsdebatte ihrerseits fachlich zu qualifizieren (S. 7).
Die Beiträge des Bandes gliedern sich in drei Teile, deren Stichworte der Untertitel liefert: Zugänge - Anregungen - Praxisbeispiele.
Die Beiträge von Hitzler und Friebertshäuser im ersten Teil geben einen guten Überblick über ethnographische Methoden und deren Relevanz für eine Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit, die Beiträge im zweiten Teil widmen sich den Fragen ethnographischer Kompetenz und daraus resultierender möglicher Qualitätsbestimmungen von Jugend- und Sozialer Arbeit (z.B. im Rahmen des Wirksamkeitsdialogs) sowie, daran anschließend, der Frage von Professionalisierung und Professionalisierbarkeit der Disziplin, wobei besonders der Beitrag des Herausgebers selbst einen sehr guten Überblick über die Diskussion bietet. Die Beiträge des abschließenden dritten Teils schliesslich präsentieren gelungene und Hoffnung machende Anwendungen im Bereich der Jugendarbeit und räumen zugleich mit dem eingangs erwähnten Vorurteil auf, ethnographische Methoden seien in den Praxisfeldern der Jugend- und Sozialen Arbeit nicht anwendbar.
Der Band ist in der Reihe `Lehrtexte` von Leske + Budrich erschienen, und so ist er auch zu lesen. Viel Neues erwartet KennerInnen der Methoden und der Diskussionen insofern nicht. Aber als Einführung in die Diskussion und als Anregung, sich in der Qualitätsdebatte nicht nur auf Konzepte anderer Disziplinen zu verlassen, sondern die Debatte genuin disziplinär zu führen, ist er sehr empfehlenwert.

Erschienen im VS_Verlag.

Rezension von Friedhelm Ackermann