Sammt, K. u.a. (Hg.): Lebenslagen am Rande der Erwerbsgesellschaft

ISBN: 978-3-7799-3294-9
Fundierter Blick auf die Armutslagen im Land
Prekäre Lebensumstände haben viele Facette, nicht nur jene, die unter dem Schlagwort „Hartz IV“ seit Jahren bereits zusammengefasst werden. Ebenso vielfältig wie die Armutslagen selbst sind auch deren „deutende Umgangsweisen“. Der vorliegende Sammelband macht es sich zur Aufgabe, einen Überblick über aktuelle Forschungen zu Arbeitslosigkeit und Armut in Deutschland zu geben und ebenso die Auswirkungen der sozialpolitischen Reformen des letzten Jahrzehnts auf die Betroffenen darzustellen.
Im Rahmen dieser breiten und gelungenen Darstellung zum Thema wird zunächst noch einmal unmissverständlich verdeutlicht, dass jene „Hartz IV“ Reformen nicht Folgen spontaner Entscheidungen waren, sondern vielmehr als Folge schon länger dauernder Prozesse der allgemeinen Deregulierung der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland einzuordnen sind.
So wundert es nicht, dass im Gesamten in den letzten Jahren vor allem und zunehmend jene „Außenseiter des Arbeitsmarktes“ von einer Prekarisierung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse betroffen sind. Es ist daher letztlich gar nicht pointiert formuliert, sondern einfach nur zutreffend, das „dort (am Rande der Erwerbsgesellschaft) der Preis für den Erfolg (des Arbeitsmarktes) in Deutschland bezahlt wird“.
Zusätzlich erschwerend für Menschen in solch prekären Verhältnissen tritt noch ein zweites Moment hinzu. Bedingt durch die stark abgesenkten Zumutbarkeitsschwellen verbreitert sich die Ansicht, Arbeitslosigkeit sei „verhaltensbedingt“, also schuldhaft dem Arbeitslosen zuzusprechen.
Dies ist der Kontext, in dem die verschiedenen Beiträge des Buches angesiedelt sind und in denen sich die verschiedenen Autoren je fundiert der Wahrnehmung und Bearbeitung von Armutslagen und Leistungsbezug zuwenden.
Seien es die „Weltsichten“ in Bezug auf Zugehörigkeit und Ausgrenzung, sei es der Blick auf betroffene Familien und deren Umgang mit der (offenkundigen und zunehmend) „geächteten“ Bedürftigkeit), sei es die differenzierte Betrachtung verschiedener Faktoren innerhalb der prekären Erwerbsarbeit (Anerkennungsmodelle, Lebenslügen, sozialer Rückzug und prekäre Selbstständigkeit, sowie eine Darlegung möglicher Formen des Umgangs mit „Armut trotz Arbeit“), in den wesentlichen Bereichen der Deutung von Innen und von Außen und der faktischen Darstellung der Lage im prekären Bereich der Gesellschaft zeigen die Beiträge im Sammelband von verschiedenen Seiten her jenen „Preis für den Erfolg des Arbeitsmarktes“ auf, der oft abseits der öffentlichen Wahrnehmung (teils bitter) entrichtet wird.
Neben den medialen Schlagworten um das Konstrukt „Hartz IV“ herum bietet das Buch somit dem interessierten Leser eine differenzierte und mit Fallbeispielen erläuterte Sicht auf nicht wenige „Lebenslagen“, die sich in den letzten Jahren und im letzten Jahrzehnt zunehmend real erweitert und zugespitzt haben.
Eine wichtige Lektüre, die ungeschminkt aufzeigt, wie ALG-II-Bezieher ihre Situation und die damit verbundenen Erfahrungen von Ausgrenzung erleben, interpretieren und versuchen, zu bewältigen. Eine Lektüre, die den Blick nicht marktschreierisch, sondern sachlich und differenziert auf den „Rand der Gesellschaft“ lenkt, an dem nicht nur ein bestimmte Gruppe von Personen, sondern letztlich der gesamte soziale Zusammenhalt beginnt, zu erodieren.
Rezensent: Michael Lehmann-Pape






