Jürgen Grimm - Fernsehgewalt

hinzugefügt: 17-10-2002
Zuwendungsattraktivität - Erregungsverläufe - sozialer Effekt 1999. IV, 812 S., DM 98,00
ISBN 3-531-12668-7

Eine umfassende Studie zu Gewaltdarstellungen im Fernsehen zu erstellen ist auf Grund der Komplexität der Sachlage eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Jürgen Grimm jedoch hat mit diesem Band einen großen Schritt in Richtung Vollständigkeit gemacht. Der Band Fernsehgewalt befaßt sich mit der Zuwendungsattraktivität und Wirkung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen. Die Studie, die diesem Band zu Grunde liegt, soll aus der Sicht der Rezipienten darstellen, „Warum setzen sich Menschen unter TV-Bedingungen Situationen aus, denen sie im wirklichen Leben nicht begegnen wollen?“ und „Welche Wirkung hat die Fernsehgewalt-Rezeption auf Einstellungen der Zuschauer?“ Innerhalb der mehrteiligen Untersuchungsreihe nahmen über 1.200 Probanden ab 11 Jahren teil. Mit Hilfe physiologischer Meßmethoden (Herzfrequenz und Hautleitfähigkeit) sowie umfangreicher psychosozialer Tests, u. a. zu Angst, Aggression, Empathie, Kontrollerwartung und Toleranz, wurden einerseits Motivhintergründe und andererseits körperliche und psychosoziale Effekte der Fernsehgewalt-Rezeption bei Jugendlichen und Erwachsenen empirisch geprüft.
Durch die psychologischen Testmethoden und der soziologischen Datenanalysen erhält diese Studie einen sehr interdisziplinären Charakter, welcher vom Autor ausdrücklich beabsichtigt ist, denn „ein Ziel dieser Arbeit ist es, Wissensbestände aus verschiedenen Bereichen so zusammenzuführen, daß sie zur Erhellung der Problemstellung im thematischen Kontext von Fernsehgewalt beitragen können.“ Auf dogmatisches „Beschränken“ auf eine Disziplin wird hier zu Gunsten einer breiteren und genaueren Analyse dieses Themas verzichtet.
Die Kapitel beschäftigen sich ausführlich mit den gesellschaftlichen Bedingungen, den Methoden und den Ergebnissen der beiden empirischen Untersuchungen (Motive der Fernsehnutzung und Wirkung von Spielfilmgewalt), verschiedenen Wirkungsanalysen. Den Abschluß bilden die „Techniken der Entbrutalisierung“. Im Anhang befinden sich auch die Fragebögen zu den Untersuchungen.
Die Ergebnisse der Studie sprechen insgesamt dafür, daß zwischen Medium und Rezipient komplexe Beziehungen bestehen, die sich nicht auf die griffige Kurzformel einer durch Medien verrohten Gesellschaft bringen lassen. Vielmehr zeigt sich, daß Gewaltdarstellungen in Abhängigkeit von der dramaturgischen Einbettung sozialverträgliche oder -unverträgliche Effekte erzeugen können.

Der Autor liefert mit „Fernsehgewalt“ das wohl ausführlichste Werk zum Thema. Die zahlreichen, oftmals auch widersprüchlichen, Theorien werden durch die Daten der eigenen Untersuchungen überprüft und bekommen einen aktuellen Bezug. Nicht nur durch Umfang und Ausführlichkeit auch durch die interdisziplinäre Ausrichtung setzt der Band Maßstäbe. Das neue Standardwerk zum Thema.

Erschienen im VS_Verlag.

Rezension von Jörg Warras