Mührel, Eric (Hg.): Ethik und Menschenbild der Sozialen Arbeit.

hinzugefügt: 7-01-2004
Essen 2003, 172 S.,

ISBN: 3-89924-073-1, € 20

Vor dem Hintergrund der „Unruhe der Zeit“ (Mührel), eines global agierenden Kapitalismus, der mit seiner neoliberalen Verwertungslogik alle Bereiche menschlichen Lebens durchdringt, von deutlichen Tendenzen zur Individualisierung bzw. kulturellen Pluralisierung, der sog. Lebenswissenschaften und ihrem technizistischen Zugriff auf das Humane, tun grundlegende Gedanken zu Ethik und Anthropologie dringend not.
Und dies noch mehr aus dezidiert sozialarbeiterischer Perspektive, will sich bzw. soll Soziale Arbeit als Disziplin und Profession den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts fundiert stellen und als „Menschenrechtsprofession“ bzw. als Profession verstanden werden, die wesentlich die Lösung sozialer Probleme zum Gegenstand hat (Staub-Bernasconi). Und weil es in der Tat so ist, wie Eric Mührel in seiner Einführung feststellt, dass grundlegende Arbeiten zu Ethik und Menschenbild der Sozialen Arbeit Mangelware sind bzw. diesem Hintergrundszenario zu wenig Rechnung tragen, ist der vorgelegte Band hoch aktuell und längst überfällig, will diese Lücke schließen.
Fraglich ist, ob dies gelingt.
Zwei unterschiedliche Zugänge zu Ethik und Menschenbild der Sozialen Arbeit liegen den jeweiligen Aufsätzen des Bandes zugrunde, die gleichwohl miteinander verwoben sind.
Da sind zum einen Beiträge, die im ideengeschichtlichen Rekurs an die Wurzeln humanistisch geleiteter Sozialer Arbeit im Judentum (Susanne Zeller), im Christentum (Markus Hundeck), im Islam (Yasemin Karakasoglu), im Humanismus der Renaissance und der Rezeption besonders dieser Traditionslinie bei Emmanuel Levinas (zwei Aufsätze von Eric Mührel) erinnern und diese gleichwohl als normativ-ethische Folie auf die o.g. Gegenwartsprobleme und -fragestellungen anlegen.
Da sind zum anderen Aufsätze, die von konkreten Herausforderungen der Gegenwart wie „Biopolitisierung“ bzw. „-ökonomisierung“ (Jürgen Kühl), den Chancen, Risiken und Grenzen Sozialer Arbeit und besonders der Beratung im Zeitalter des Internet (Rafael Capurro) und der Ökonomisierung des Sozialen im Dienstleistungsparadigma, die sich begrifflich in der Fragestellung „Kunde oder Klient“ manifestiert (Bernhard Haupert), ausgehen und diese dann mit der Frage nach der Bedeutung des umfassenden Menschenrechtsgedankens „gegenüber einer libertär-utilitaristischen Entwicklung“ (Kühl) verbinden.
In der Summe kumulieren die Herausforderungen der Gegenwart und die ideengeschichtlichen Traditionslinien in einer Ethik der Verantwortung gegenüber KlientInnen und Welt, die als „Ethik der Illusion“ (Mührel) das Visionäre, im guten Sinne utopische, als Entwurf gelingenden Lebens kontrafaktisch gegen die umfassende Verwertungslogik aufgerichtet und in den kontrovers zu führenden Diskurs mit den anderen Wissenschaften einzubringen ist.
Insgesamt ist der Band als engagierte und fundierte Streitschrift der Humanität zu verstehen, sind die Aufsätze des Bandes zwar in einer vom Hintergrundszenario geprägten Frontstellung formuliert, weisen aber als grundlegende Bestimmung des anthropologischen und ethischen Fundaments Sozialer Arbeit darüber hinaus und liefern einen wichtigen Beitrag für die Positionierung von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit.
Und auch wenn es den Beiträgen kaum gelingt, die gewaltige Lücke in der sozialarbeiterischen Grundlagenforschung zu schließen, so ist diese Lücke mit dem Band deutlich enger geworden.
Eric Mührel hat ein im guten Sinne mühevolles Buch voll verdichteter, über sich selbst hinaus weisender Texte herausgegeben, das alle Mühe lohnt!

Erschienen im Verlag Die blaue Eule

Rezension von Georg Wegner