Luise Barthold / Astrid Schütz: Stress im Arbeitskontext

hinzugefügt: 20-05-2010
Ursachen, Bewältigung und Prävention.
Beltz Weinheim 2010. EUR 34,95
1. Auflage 2010. 200 Seiten. Gebunden.

ISBN 978-3-621-27660-3

Sinnvolle unternehmerische und persönliche Strategien

Jeder kennt es und (fast) jeder oder jede hat ihn irgendwie: Stress. Ein geläufiges Wort, allerdings oft mit nebulöser Bedeutung und daher schwer zu fassen.

Die beiden Psychologinnen Luise Barthold und Astrid Schütz haben sich dem weitverbreitetem (80 % der Bevölkerung haben gelitten oder leiden unter Stress) Phänomen „Stress“ wissenschaftlich fundiert mit dem Schwerpunkt der Arbeitswelt aus Blickrichtung der Unternehmen und der Arbeitnehmer zugewandt.
In dieser klaren Form und Zielrichtung längst überfällig zugewandt. Stress ist mittlerweile eine Volkskrankheit und generiert immense Kosten. Dann noch zu wissen, dass fast die Hälfte aller Befragten die Arbeit als Stressfaktor Nummer 1 anführen zeigt auf, dass ein Gegensteuern unabdingbar notwendig ist für alle Seiten.

„Arbeit bedeutet atmen für mich; wenn ich nicht arbeiten kann, kann ich nicht atmen“
(Pablo Picasso).
Das vorweggestellte Zitat weist den Weg des Buches. Auch wenn dieses Zitat sicherlich für viele Menschen und Arbeitssituationen zu relativieren ist, die umfassende Bedeutung der Arbeit (definiert hier als bezahlte, regelmäßige Voll- oder Teilzeitarbeit) für unsere moderne Gesellschaft wird im 1. Kapitel des Buches nachhaltig, überzeugend und unter Einbeziehung auch aktuellster Belastungen der Wirtschafts- und Arbeitswelt dargestellt.

Im Aufbau erfolgt im 1. Hauptteil des Buches eine Grundlegung im Blick auf die später ausgeführte Argumentation der Autorinnen. Wie erwähnt erfolgt eine Betrachtung des Kontextes der Arbeit in unserer Gesellschaft. Hier werden Einflüsse genannt und differenziert betrachtet, die gegenwärtig für eine dynamische Entwicklung der Arbeitswelt maßgeblich sind (bis hin zur Finanzkriese von 2008 und der Folgen).
Was eigentlich Stress ist, welche Folgen Stress für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft hat und welche „Stressoren“ (Stress auslösende Faktoren) wissenschaftlich erhoben werden können ist Thema der folgenden Kapitel.
Der Grundlagenteil des Buches schließt dann mit einem Blick auf je individuell vorliegende Ressourcen im Umgang mit Belastungen. In diesem Kapitel erfolgt spürbar auch eine Wendung von der Darstellung der Ursachen und Folgen hin zu Strategien der Reduktion und Vermeidung von Stress. Die eigenen Ressourcen und die Ressourcen eines Unternehmens sind, richtig genutzt, die Quellen für eine Arbeit gegen Stress.

Im zweiten Hauptteil des Buches erfolgt die Darstellung konstruktiver Strategien gegenüber dem „Krankmacher“ Stress. Einerseits im Blick auf die Seite der Organisation (betriebliches Gesundheitsmanagement), andererseits auf personenbezogene Maßnahmen (Stressmanagement Training). Das Buch schließt mit der Betrachtung und konkreten Hinweisen darauf, wie Arbeit konstruktiv so gestaltet werden kann, dass die Vielzahl der Stress-Risiko Faktoren deutlich minimiert bis ganz vermieden werden können.

Im Kern steht als Ziel der Autorinnen beständig implizit im Raum, eine gesunde Balance zwischen (durchaus auch allgemein positiv wirksamen) Anforderungen im Arbeitsprozess einerseits und den jeweils individuell zur Verfügung stehenden Ressourcen herzustellen.
Wege zu dieser Balance werden eindeutig, verständlich und umsetzbar benannt.

Hervorstechend am Stil des Buches ist die sprachliche Qualität, mit der es den Autorinnen gelingt, die einzelnen Betrachtungen knapp zu halten, ohne es an Tiefe, Qualität und präzisen Informationen fehlen zu lassen.
Allein schon die kurze, aber umfassende Erklärung zum „Burn out“ Syndrom unter Einbeziehung der bisherigen Forschungen zum Thema zeigen, wie einfach, direkt, sprachlich verständlich und kompetent Begriffe geschärft werden können, die im Alltag rein nebulös meist achtlos benutzt werden oder weitschweifige Erläuterungen nach sich ziehen, die letztlich ebenso unklar bleiben.

Mit dieser Art der sprachlichen Umsetzung gelingt es ohne weiteres, auf nur knapp 200 Seiten ein solch umfassendes Thema präzise zu benennen, die bisherige Forschung verständlich darzustellen und wesentliche Hilfsmittel an die Hand zu geben, Veränderungen im persönlichen Umgang und in der institutionalisierten Bearbeitung im Blick auf das Gesundheitsrisiko Stress zu initiieren.

Dass Stress gesundheitsschädlich ist, ist natürlich bekannt. Dass über 43 Milliarden € im Jahr aufgewendet werden, um die Folgen des Stresses zu bezahlen, das ist sicherlich so nicht allseits bekannt. Dass hohe Anstrengungen keineswegs immer als Stress zu gelten haben, sondern sehr belebend wirken können ist genauso wichtig für die Einschätzung von Stressfaktoren, wie das Wissen darum, dass Nichtstun gepaart mit ausgeprägter Langweile ebenfalls zu Stress führen kann.

Der knapp beschriebene und dennoch hochwertige Blick auf die nicht nur individuell verschiedene Ausprägung der Empfänglichkeit Stress gegenüber, sondern auch die notwendige Betrachtung des jeweiligen Kontextes weist klar darauf hin, dass Maßnahmen zur Reduktion von Stress immer individuell und situationsadäquat zu gestalten sind.

Dass es im Umgang mit Stress nicht ausreicht von Unternehmensseite allein her einen sauberen und funktionalen Arbeitsplatz bereit zu stellen versteht sich angesichts der Komplexität des Themas von selbst. Barthold und Schütz bieten im Blick auf die Bewältigung und Prävention von Stress eine Menge mehr an vernetzten Voraussetzungen und Umsetzungen eines erfolgreichen Gesundheitsmanagement. Ebenso bieten sie ein weitreichendes und nachvollziehbares Stressmanagement Training unter Aufnahme vielfacher Teilbereiche individueller Arbeitsstrukturen, das dem Einzelnen eine Vielzahl von Ansatzpunkten an die Hand gibt, den eigenen Risikofaktoren entgegen zu treten.

Im Gesamten sind die verarbeiteten Einflüsse, die Stress verursachen auf dem aktuellen Stand. Die vorhandene Literatur und der Stand der Forschung sind umfassend aufgenommen und in knapper, verständlicher Sprache hervorragend dargestellt.
Die daraus abgeleiteten Schlüsse und Vorschläge der Autorinnen stellen sich auf dieser Grundlage argumentativ überzeugend dar und sind, zu guter Letzt, tatsächlich praktikabel. Leider aber werden die vorgeschlagenen Strategien wahrscheinlich solange nicht wirklich bedacht werden, solange kurzfristiges Profitdenken das strategische Handeln bestimmt.
Der einzelne aber kann anhand des Buches zumindest das Seine beginnen, anders zu gestalten.


Rezensent: Michael Lehmann-Pape