Migge, B.: Sinnorientiertes Coaching

hinzugefügt: 26-10-2016
Verlag: Beltz 2016

ISBN: 978-3-407-36575-0

Coaching auf der Basis der „Sache hinter den Dingen“

Auch wenn vom Titel her die Richtung klar ist, dennoch sei betont, dass es in diesem neuen Werk von Björn Migge nicht um eine Art des Coachings der „Sinne“ oder „mittels der Sinne“ geht, sondern er im wahrsten Sinne des Wortes die Frage nach dem „Sinn dessen, was wir tun“ als Grundlage dieses durchaus „anderen“ Ansatzes zum Coaching setzt.

„Jeder möchte sinnhaft, glücklich und erfüllt leben. Und niemand möchte ein wertloses und leeres Leben führen“.

Das ist die Grundlage, mit der Migge an das Coaching herangeht und das ist die hinter den vordergründigen Sachfragen und Problemen liegende Frage, die wohl jeden umtreibt. Und zu deren Beantwortung die drängenden Fragen und Probleme eher als Instrument, als Symptom gesehen werden sollten, nicht als „zu lösende Ursache“ von Spannungen und Konflikten (mit sich selbst und/oder mit anderen).

Und auch methodisch legt Migge dieses Werk anders an als andere Darreichungen zum Coaching. Tools, Antworten, Arbeitsblätter, methodische Ratschläge tauchen zwar in gewisser Weise im Buch auf (durch Hinweise für den Leser auf bestimmte Lektüren, vor allem aber durch klare „Arbeitsanweisungen“ nach jedem der einzelnen, thematischen Kapitel. Diese liegen dabei nicht stereotyp vor, sondern verweisen den Leser immer wieder auf die Selbstreflexion, auf einen eigenen Prozess des Denkens und der Selbstwahrnehmung, mittels dessen die dargebotenen Inhalte einerseits persönlich geprüft, nacherlebt und, so sie für den jeweiligen Leser stimmig sind, verankert werden können.

Ebenso, wie die vielfachen Lesehinweise, welche die entsprechenden Kapitel abschließen, zur vertiefenden Arbeit an den Themen anregen.

So finden sich im Buch, logischerweise, vielfach aus der (meist praktisch orientierten) Literatur zum Coaching andere, ungewohnte Themen, denen Migge nachgeht und die er immer wieder in die Frage nach dem „Sinn von Allem“ einbindet.

Worauf das „Sein“ zielt. Was es mit dem „Bösen“ in der Welt auf sich hat. Wie der Humanismus (und hier im Besonderen der „neue Humanismus“ nach Erich Fromm) die Sinnfrage anstößt, befördert in sehr konstruktiver Weise in sich bereits beantwortet. Wie der „freie Wille“ mit „Würde“ einhergeht, das „Worte Wirklichkeit machen“ und ob nicht doch „alles vorherbestimmt“ sein könnte (eher nein, denn neue Einstellungen und neue Verhaltensweisen können nachweislich erarbeitet werden).

Gründlich geht Migge den Grundlagen der Sinnfrage nach, spart Esoterik, Spiritualität, Religion und Glauben nicht aus, ruht in all seinen Betrachtungen erkennbar auf einer breiten, praktischen und zugleich methodisch vielfältigen Erfahrung in der Arbeit mit Patienten und Klienten, bevor er zum Kern seiner Herangehensweise kommt.

„Die existentielle Beratung“ mit einem Exkurs über das „Ontological Coaching“ aus Südamerika, einem tiefen, ganzheitlichen Ansatz in der Arbeit als Coach und Therapeut und der Integration (europäischer) Existenzphilosophie in die Grundhaltung von Coach und Therapeut. Stark verweist Migge dabei auf die Arbeit Viktor Frankls und der Basis sinnhafter und existenzieller analytischer Arbeit unter der Doktrin: „Der Mensch ist Möglichkeit“.

Eine durchgehend vorliegende Konzentration auf die Frage des „Ringens um Sinn“ leitet die Beiträge und die vorgestellte Herangehensweise im Buch und so wundert es nicht, dass es eine hohe Konzentration benötigt, sich mit den Inhalten fruchtbar auseinanderzusetzen.

Denn es sind die Kernthemen der Existenz. Die Frage nach Sein und Vergehen, dem Sinn eines begrenzten Lebens unter Milliarden anderer Leben, die Angst vor dem Tod, die Herausforderungen eines unergründlichen „Schicksals“ oder der „biologischen Lotterie“ des Lebens, die Seite für Seite mit Ernst vor Augen geführt werden.

Mit dem roten Faden eben dieser Grundfragen versehen, bietet das Buch vielfache und herausfordernde Anregungen, nicht nur für im Bereich professionell tätige Menschen.

Wohin, wofür und wozu soll ich jetzt leben? Wofür war das Bisherige gut, wenn es genommen wird. Und wer bin ich eigentlich? Wer sind die anderen? Gibt es ein „gutes Leben“ ab jetzt? Fragen, die zu einer „angewandten Philosophie“ im Buch führen werden und weniger zu einer erneuten psychotherapeutischen Methodendiskussion anleiten.

Fragen, die jedes menschliche Sein in der Tiefe betreffen. Auf die Migge nicht einfach lapidar eindeutige Antworten gibt, sondern einen „Prozess der Selbstfindung“ anleitet, der dann vielleicht im Leben unter Begleitung fortgesetzt werden will. Oder Teil der eigenen Arbeitsweise und der eigenen Haltung als Coach (noch mehr) werden kann.


Rezensent: Michael Lehmann-Pape