Eva-Lotta Brakmeier, Franz Jakobiner (Hg.): Verhaltenstherapie in der Praxis

hinzugefügt: 7-06-2017
Beltz Verlag 2017

ISBN 978-3-621-28447-9

Fundierte, umfassende und nichts auslassende Darstellung

Im Rahmen der bereits vielfachen Literatur zur Verhaltenstherapie mit Schwerpunkten einerseits zur Theorie und andererseits zur Praxis, setzt dieses umfassende und akribisch zusammengetragen Werk einen noch einmal ganz eigenen Ton, bei dem die durchgehend konsequente Praxisorientierung die zentrale Rolle einnimmt.

Flankierend versäumt es das Werk dabei nicht, sich den neuen Entwicklungen der VT zu öffnen. Ebenso geht der Blick immer wieder „über den Tellerrand“ hin zu „transdiagnostischen Aspekten“ (bei den Themen der Beziehungsgestaltung, Motivation, Lebenswelten des Patienten, dem sozialen Kontext von Störungen).

Als Lehrbuch einerseits und als praktischer Begleiter und Hilfe zur Reflexion der eigenen Arbeit andererseits ist das Werk somit gedacht und ausgelegt.
Auf beide Bedürfnisse hin haben die Herausgeber ihre Inhalte gleichermaßen strukturiert und hilfreich ausgerichtet.

Die beiden Herausgeber haben den postgradualen „Studiengang Verhaltenstherapie“ an der Psychologischen Hochschule Berlin aufgebaut, geleitet und weiterentwickelt.
Beide verstehen sich selbst als in ihrer Praxis als „Schulen übergreifend und integrativ“ und bezeichnen sich als „Scientist Practioner“.

Eine Gesamthaltung, die auch in der Auswahl der vielfachen (im ausgeglichenem Geschlechterverhältnis am Werk beteiligten) Autoren und Autorinnen der einzelnen Bereiche im Buch erkennbar von diesen geteilt wird (105 Mitautoren zeichnen für die vielen Beiträge im Buch insgesamt verantwortlich).

Die Vielzahl der Autoren, die vielfachen praktischen Erfahrungen und die ebenso fundierte Reflexion der Arbeit zeigen von Beginn der Lektüre an, dass eine immense Dichte der Beiträge zu erwarten ist. Eine Erwartung, die dieses Werk nicht enttäuscht. Auch wenn naturgemäß im Blick auf die umfassende Breite der Betrachtungen die einzelnen Beiträge komprimiert daherkommen.

In der Einleitung erfolgt zunächst eine Klärung und Darstellung der Rahmenbedingungen, die in der Gegenwart die Praxis der Psychotherapie im Allgemeinen und der VT im Besonderen prägen.

Der thematische Einstieg im engeren Sinne beinhaltet verschiedene Betrachtungen zur „aktiven Gestaltung der therapeutischen Beziehung“, grenzt dabei die therapeutische Beziehung nachvollziehbar und professionell von Alltagsbeziehungen ab, gibt motivierende Handlungsmöglichkeiten an die Hand, verweist auf besondere Techniken der Beziehungsgestaltung aus neueren VT-Methoden heraus und behandelt ebenso schwierige Situationen zu Beginn einer Therapie und den möglichen Umgang mit diesen.

Von diesem Zeitpunkt des Erstkontaktes an bis zur Erstellung einer Fallkonzeption steht der therapeutische Weg, der den zweiten Hauptteil des Werkes bestimmt.

Im dritten Hauptteil beginnt die differenzierte und fundierte Darlegungen von Instrumenten und Methoden auf dem Hintergrund praktischer Erfahrungen, reflektierter Praxisbeispiele, die auch schwierige Situationen und Störungen mit aufgreifen und in den Fluß der Beschreibung mit einbringen.

Basistechniken wie Psychoedukation, Ressourcenorientierung, Expositions- und Konfrontationsverfahren, Kognitive Umstrukturierung, Training sozialer Kompetenzen u.v.m.. Integrative Techniken in der VT wie Achtsamkeit und Akzeptanz, Emotionsregulationstraining, Stuhldialog u.a..

Verständlich geordnet im Anschluss dann im Hauptteil V des Werkes im konkreten Blick auf die gängigen Störungsbilder, die einem je konkreten Therapieweg zu Grunde liegen.

Abhängigkeitsstörungen, Bipolare Störungen, Depression, Angst, Zwang, Essstörungen und alle weiteren relevanten und bekannten Störungen werden nacheinander vorgestellt und besprochen

Mitsamt entsprechenden Verweisen und strukturierten Abläufen zur Diagnostik, Therapieplanung, Verlaufskontrolle und Ergebnisbewertung ebenso, wie die Verhaltensanalyse, die Plananalyse und alle weiteren notwendigen Schritte im Einzelnen vertieft vor Augen gestellt werden.

In jedem Kapitel findet sich, gut strukturiert, von der Diagnostik zu den Zielen und Strategien im Rahmen der VT bis hin zur praktischen Durchführung mitsamt der Benennung von „Stolperfallen“ und möglichen Interventionen bei solchen Störungen des therapeutischen Verlaufes ein klar gegliederter Therapieweg für die konkrete Problematik.

Beispiele, farblich abgesetzte Merksätze, farblich abgesetzte Schaubilder (wo diese sinnvoll sind) und Tabellen, Bemerkungen zu weiteren Therapieverfahren und je eine kritische Einordnung der VT zu den jeweiligen Störungen bieten Theorie und Praxis in einander ergänzendem Sinne mit gezielten und klaren Besprechungen praktisch relevanter Fragen.

Im VI. Hauptteil finden die vielfachen Ergänzungen der 90er Jahre ihren Niederschlag als Formen der integrativen Weiterentwicklungen und als „dritte Welle“ der VT.

ACT, Dialektische VT, Emotionsfokussierte Therapie, Metakognitive Therapie und weitere die VT „erweiternde“ Erkenntnisse finden hier ihren Platz.

Der VII. Hauptteil fokussiert sich im Anschluss breit und vielfach ins Konkrete gehend auf die „Diversität der VT“.
Auf besondere Therapiekonstellationen mit besonderen Gruppen (bis hin zu „internetbasierten Interventionen“), auf offenliegende Probleme innerhalb der Praxis der VT und auf ungewöhnliche Settings.

Bis dann der letzte Hauptteil abschließend (nicht unwesentliche) „Randfragen“ behandelt, wenn sich die Autoren den Themen Ethik und Berufsrecht, Approbationsprüfung, den möglichen Nebenwirkungen von Psychotherapie und der Integration von Methoden und Verfahren ausführlich beschäftigen.

Ein Literaturverzeichnis von knapp 60 Seiten unterstreicht den wissenschaftlichen Anspruch und die wissenschaftliche Reflexion des Werkes auf der einen Seite, während die knapp 5 Seiten des Sachwortverzeichnisses eine beredte Sprache der doch auch Konzentration auf die wesentlichen und wichtigen Themen der Praxis der VT sprechen.

Gerade der Blick auf die vielfache Literatur zur VT zeigt auf, dass auch in der Gegenwart das vorliegende Werk tatsächlich einen Mangel abdeckt und schließt, in dem es ein breit dargelegtes, sehr fundiertes und sehr an der Praxis reflektiertes Konzept der VT vorlegt, ohne dass auch nur eine wesentliche Komponente dabei fehlen würden.

Studium, Aus-, Fort,- und Weiterbildung und die praktische therapeutische Arbeit nach dem Konzept der VT profitieren gleichermaßen vom Inhalt des Werkes und, nicht zuletzt, von der Vielfältigkeit und daher Breite der Eindrücke durch die hohe Zahl von Autoren und Autorinnen, die je ihre eigene Kompetenz spürbar in diese konzeptuelle Erfahrungs-Buch einbringen.

Dabei wird, natürlich, der therapeutischen Beziehung ebenso der Rang einer Kernkompetenz eingeräumt (und nachgewiesen), wie die Anwendung einzelner Methoden und Techniken innerhalb der VT verständlich und differenziert dem Leser nahegebracht werden. Bereits durch und über die Lektüre des Werkes tritt damit eine Kompetenzsteigerung ein.

Auch die Themen der „personalisierten Psychotherapie“ („what works für whom?“) und jeweilige hintergründig mitschwingende Perspektiven für die „Psychotherapie als Profession“, eröffnen dabei einen weitaus breiteren und allgemeineren Blick, als sich nur konkret dem engeren Feld der VT zuzuwenden.

All dies verläuft getreu nach einer der Kernvoraussetzungen der Herausgeber, die auch Eingang in die Covergestaltung des Buches gefunden haben.

„Dass die Psychotherapie im Allgemeinen und die Verhaltenstherapie im Besonderen sich fortlaufend weiterentwickeln und trotzdem ihre Identität beibehalten“.

In diesem Sinne ist dieses Werk ein weiterer, wichtiger und einen Standard setzender „Schritt nach vorne“. Mit frischen, neuen Anregungen, mit einem klar erkennbaren roten Faden der VT und dies immer unter Bewahrung der Identität der Verhaltenstherapie.


M.Lehmann-Pape 2017